„Eine fantastische Frau – Una mujer fantástica“ von Sebastián Lelio



Von Anfang an hat Marina keine Möglichkeit zu trauern. Andere entscheiden für sie, glauben sich berechtigt, ihre Gefühle einzuordnen und als für weniger bedeutend als die eigenen einzustufen. Durch ihr Anderssein verspielt sie offenbar alle Rechte als Partnerin Orlandos. Ihr schlägt von Seiten der Familie und der Behörden Abneigung und Unverständnis entgegen, einzig Orlandos Bruder Gabo (Luis Gnecco) hegt Sympathie für sie, kann sich aber gegenüber dem Rest der Familie nicht durchsetzen. Die Reaktion der Söhne, die sich wie halbstarke Machos aufführen, verwundert nicht sonderlich, sie fühlen sich durch Marina offensichtlich in ihrer eigenen Männlichkeit bedroht. Sie stehen stellvertretend für eine chilenische Gesellschaft, die weitgehend patriarchal organisiert ist. Interessanter ist es, das Verhalten von Orlandos Ehefrau Sonia (Aline Kuppenheim) zu beobachten: Anfangs spricht sie zwar entschieden, aber einigermaßen gefasst mit Marina, im Laufe des Films verliert sie immer mehr die Fassung, bis sie sie nur noch ausfallend anschreit.

Marina im Gegenzug beherrscht sich erstaunlich gut, bis auf einen kurzen Wutanfall, in dem sie nach ihrem Hund verlangt. Sie hat offensichtlich Übung darin, sich den Beschuldigungen, Aggressionen und der Ablehnung anderer zu stellen. Von ihr geht eine innere Kraft aus, die sie kaum in Worte auszudrücken braucht. Das Motto „was dich nicht umbringt, macht dich stärker“ scheint vollständig auf sie zuzutreffen, trotz seiner banalen Seite. Mit Sicherheit porträtiert der chilenische Regisseur nicht ohne spürbare Parteinahme eine charakterstarke Frau, die ganz nach dem Titel des Films als „eine fantastische Frau“ verstanden werden soll. Die schauspielerische Leistung von Daniela Vega als Marina überzeugt und beeindruckt durch ihre Einfachheit und Natürlichkeit. Lelio beweist nach seinem Film „Gloria„, der 2013 an der Berlinale gezeigt wurde und der Hauptdarstellerin den Preis für die beste weibliche Hauptrolle einbrachte, erneut ein Gespür für ausdrucksstarke Schauspielerinnen, die er zweifellos durch präzise Regieführung zur Geltung bringt.

Una mujer fantástica“ ist nicht nur durch seine thematische Relevanz ein wertvoller Beitrag der 67. Berlinale, sondern auch dank seiner künstlerischen Einheitlichkeit in der Bildfindung und dem leicht märchenhaften Charakter. In Erinnerung bleibt zudem eines der Lieder „Tu amor es un periodico de ayer“ („Deine Liebe ist wie die Zeitung von gestern“) im Original von Hector Lavoe, das aber in der Version von Daniela Vega viel sinnlicher wirkt. Der Film gewann gleich mehrere Preise unter anderem den Teddy-Award für den besten Spielfilm 2017 und erhielt eine Lobende Erwähnung von der ökumenischen Jury. Den Preis für die beste weibliche Darstellerin hätte Daniela Vega verdient.

Teresa Vena

Eine fantastische Frau – Una mujer fantástica„, Regie: Sebastián Lelio, DarstellerInnen: Daniela Vega, Francisco Reyes, Luis Gnecco, Aline Kuppenheim, Nicolas Saavedra, Amparo Noguera, Nestor Cantillana, Alejandro Goic, Antonia Zegers, Sergio Hernandez, Kinostart: 7. September 2017

Bei den Oscars 2018 gewann „Eine fantastische Frau – Una mujer fantástica“ von Sebastián Lelio die Auszeichnung als Bester fremdsprachiger Film!

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