„An Elephant Sitting Still“ von Hu Bo



Hu Bo siedelt seinen Film innerhalb der Zeitspanne eines einzelnen Tages an, den er auf insgesamt 230 Minuten Spieldauer komprimiert. Trotzdem sprengt die knapp vierstündige Laufzeit das konventionelle Kinoformat. Doch keine Minute Langeweile schleicht sich ein. Der Film ermöglicht dem Zuschauer ein intensives Eintauchen in eine fremde Gefühlswelt, die genug Anknüpfungspunkte und Identifikationsmomente bietet. Mit großer Empathie spürt er seinen Figuren nach, die verschiedene Wege suchen, mit Indifferenz, Vernachlässigung, Ablehnung und Gewalt umzugehen. Sie leben in einer egozentrischen Gesellschaft, in der sich jeder am nächsten ist, und sie selbst von ihren allerengsten Familienmitgliedern, von denen man ein Minimum an Zuwendung erwartet, im Stich gelassen werden. Es wirkt, als wären die vier Charaktere Alter-Egos des Regisseurs, der mit seinem Film eine pessimistische Bestandsaufnahme seines Umfelds macht. Trotz aller Ernsthaftigkeit und Tragik des Erzählten mischt sich in die effizienten und schnörkellosen Dialoge wiederholt eine gewisse Ironie. Dies beispielsweise wenn der alte Mann die Besitzer des Hundes aufsucht, der seinen eigenen Hund tot gebissen hat. Er erwartet Anteilnahme und allenfalls eine Entschuldigung, doch erntet er nur aggressive Anfeindungen. Auch das Zusammentreffen des einen Jungen mit dem draufgängerischen Kleinkriminellen verläuft anders als erwartet, merken die beiden doch, wie ähnlich sie sich sind.

Der Film läuft nicht auf eine finale Zuspitzung hin, er enthält mehrere dramaturgische Höhepunkte. Damit präsentiert der Regisseur ein originelles Drehbuch, das er episodisch anordnet und das die Spannung aufrechterhält. Hu Bo hatte bereits Kurzfilme gedreht und war als Schriftsteller tätig. „An Elephant Sitting Still“ bezeugt das Talent des jungen Künstlers, der eine außergewöhnliche und poetisch-ästhetische Bildfindung aufzeigt, eine Kohärenz in der Farbgebung mit Konzentration auf kalte Grau- und Blautöne und eine differenzierte Kameraführung, die abwechselnd ganz nahe bei den Figuren ist und statisch das Geschehen einfängt. Der Regisseur hat mit „An Elephant Sitting Still“ ein bemerkenswertes, intellektuelles Vermächtnis hinterlassen.

Teresa Vena

An Elephant Sitting Still„, Regie: Hu Bo; Darsteller: Zhang Yu, Peng Yuchang, Wang Yuwen, Liu Congx; Kinostart: 15. November 2018

Gewinner des FIPRESCI-Preises und Lobende Erwähnung GWFF Erstlingsfilm.

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