69. Berlinale: „Rekonstruktion Utøya“ von Carl Javér
Dabei verliert der 1972 geborene schwedische Dokumentarfilmer Carl Javér nie die nötige Distanz. Seine Bilder werden nie voyeuristisch, die Kamera tritt den jungen Menschen nie zu nahe. Die tief erschütternde und schonungslose Dokumentation schafft es trotz aller Tragik, Wärme und Hoffnung zu transportieren – etwa, wenn sich die sympathischen und offenen jungen Menschen liebevoll an die Toten erinnern, ihren Charakter beschreiben oder Fotos von ihnen zeigen.
Die persönlichen Erinnerungen an den 22. Juli 2011 wirken noch lange nach. So etwa die Erlebnisse von Rakel, die um ihr Leben rannte, in einem Zaun hängen blieb und von den anderen mit den Worten „Sorry, Rakel!“ allein zurückgelassen wurde. Oder die Geschichte von Jenny, die erzählt, wie dankbar sie ihrem Großvater ist, weil er ihr so gut schwimmen beibrachte, dass sie es schaffte, so lange und so weit zu schwimmen, dass sie dem Täter entkommen konnte.
„Rekonstruktion Utøya“ ist bereits der dritte Film, in dem ein Regisseur den Amoklauf auf der norwegischen Insel bearbeitet. Bei der Berlinale 2018 feierte Erik Poppes „Utøya 22. Juli“ Premiere, ein Film, der 72 Minuten dauert – und damit exakt so lange wie das Massaker auf der Insel Utøya. Poppes mit Handkamera und in nur einer Kameraeinstellung gedrehter Film will den ZuschauerInnen ermöglichen, sich in die Lage der Opfer hineinzuversetzen.
Weiterlesen: Hier unsere Kritik zu „Utøya 22. Juli“ von Erik Poppe…
„22 July“ des britischen Regisseurs Paul Greengrass wurde dem Publikum erstmals 2018 bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig vorgestellt. Mittlerweile kann der Film auf Netflix gestreamt werden. Greengrass legt in seiner filmischen Bearbeitung den Fokus nicht nur auf die Anschläge, sondern auch auf die anschließende Gerichtsverhandlung und auf die politischen Hintergründe.
Nachdem die beiden fiktionalen Filme über Utøya sehr kontrovers diskutiert wurden, legt Carl Javér mit „Rekonstruktion Utøya“ nun einen Dokumentarfilm vor, in dem die Überlebenden selbst im Vordergrund stehen und ihre ganz persönlichen Erinnerungen schildern, die dann auf der Theaterbühne inszeniert werden. So gibt Javér dem Täter keinen Raum und tappt nicht in die Falle, ihm unfreiwillig ein Denkmal zu setzen. Im Gegenteil: Mit „Rekonstruktion Utøya“ setzt er den Opfern und den Überlebenden und damit auch der in der Mehrheit offenen und toleranten norwegischen Gesellschaft ein eindrückliches Denkmal.
Stefanie Borowsky
„Rekonstruktion Utøya„, Regie: Carl Javér; Mit: Jenny Andersen, Rakel Mortensdatter Birkeli, Torje Hanssen, Mohammed Saleh.
Termine bei der 69. Berlinale:
Samstag, 16.2., 20 Uhr, Haus der Kulturen der Welt