70. Berlinale: „Malmkrog“ von Christi Puiu Encounters – Beste Regie



Die formalen Eigenschaften von „Malmkrog“ zeugen von einer sicheren Hand und einem strengen Bildkonzept. Die Kamera ist statisch, wechselt aber nach Bedarf die Perspektive, wenn sie einen der Sprechenden genauer einfangen will. Mit der präzisen Ausstattung versetzt der Film den Zuschauer ins 19. Jahrhundert, die Kleidung, das Geschirr und die Möbel spielen alle ihre Rolle dabei. Eine Bemerkung, „aus der Zeit gefallen“, die öfters als Kritik für den Film verwendet wurde, beschreibt den Film durchaus richtig. „Aus der Zeit gefallen“ ist die Verwendung der Kamera, die Genauigkeit der Rekonstruktion des Dekors und schließlich auch der Mut für die Konsequenz in Ästhetik und Motiv.

Besonders faszinierend an „Malmkrog“ ist seine Aura, eine surrealistische Note, die sich in den Einzelheiten sowie als Ganzes über die Bilder legt. Absurd und surreal wird es nicht nur als es zu einem Bruch in der Erzählung kommt, es plötzlich im Haus rumpelt und die Teegesellschaft, die nach langem Zögern und der wiederholten Feststellung, dass es ganz und gar nicht, üblich sei, dass das Personal nicht auf das Klingeln reagiert, endlich selbst nach dem Rechten schaut, von Unbekannten erschossen wird. Dieses Motiv steht als Solitär da. Handelt es sich um eine Spielerei des Regisseurs oder will er damit auf das mögliche Schicksal der Protagonisten hinweisen, wie es in der Revolution von 1905 für protestierende Intellektuelle zur Realität wurde?

Eine ähnliche Meisterschaft in der Bildfindung und in der Prägnanz seiner Dialoge weist Puiu zu Luis Buñuel auf. In Erinnerung kommen Szenen aus „Die Milchstraße“ (1969), in dem beispielsweise ein Priester, der sich später als verrückt herausstellt, in einem Gasthof über die wahre Gestalt des Christus als Gottes Sohn philosophiert oder an anderer Stelle sich zwei Soldaten ein Schwert- und Wortgefecht zugleich über verschiedene Dogmen des Christentums liefern. Genauer noch drängen sich Parallelen zu Buñuels „Der Würgeengel“ (1962). Genauso wie Puiu sperrt der Meister eine Gruppe in eine Villa ein. Sie werden im Glauben gelassen, dass sie sterben werden, wenn sie sie verlassen. Es kommt zu Gesprächen über Solidarität, der Auslegung von Privilegien und unweigerlich zum Streit, der die wahre Natur der Menschen an den Tag legt. Während es hier in der mexikanischen Gesellschaft spielt und daher den Figuren eine emotionale Aufgewühltheit zugestanden wird, inszeniert Puiu eine kühle Arroganz, die nur zwischen den Zeilen ihr Feuer aufflackern lässt. Beide schaffen einen Mikrokosmos, in dem diskutiert wird, ohne dass es Konsequenzen für den Rest der Welt hätte, einen Ort entsteht, in denen sich die Figuren wichtig und sicher fühlen können – die Bedrohung kommt allenfalls von außen.

Was die Kritik bereits zu Buñuels Werk sagte, dass es sich zwar durch eine klare Linie und vordergründig einfache Inszenierung auszeichnet, aber viele Geheimnisse verberge, gilt auch für „Malmkrog„. Durch die, uns heute fremd erscheinende, Mentalität könne es als schwer zugänglich bezeichnet werden, aber bietet durch seine esoterische Note ein meisterliches Kinoerlebnis.

Teresa Vena

Malmkrog„, Regie: Christi Puiu, Darsteller: Agathe Bosch, Frédéric Schuz-Richard, Diana Sakalauskaité, Ugo Broussot, Marian Palii, Istvan Teglas

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