SCHWESTERLEIN von Stéphanie Chuat und Véronique Reymond



Die Nähe zwischen den Zwillingen, die den Film beherrscht, konnten Lars Eidinger und Nina Hoss im Spiel leicht herstellen, da sich die beiden seit einem Vierteljahrhundert kennen, auf dieselbe Schauspielschule – die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch – und in dieselbe Schauspielklasse gingen.

Die Verbundenheit der Zwillinge – bis in den Tod – wird bereits in den ersten Minuten des Films deutlich, als die beiden nach der Transplantation gemeinsam das Krankenhaus verlassen, untermalt von Johannes Brahms‘ Volkslied „Schwesterlein“. Das Lied ist ein Dialog zwischen einem besorgten Bruder und einer beschwichtigenden Schwester, der immer bedrohlicher wird, bis die Schwester schließlich Ruhe findet – im Tod.
Wie eng die Leben der beiden miteinander verwoben sind, zeigt sich auch daran, dass Lisa seit dem Tag, an dem Sven seine Krebsdiagnose bekam, nichts mehr geschrieben hat. Sven versucht, Lisa zum Schreiben zu ermutigen, während sie alles tut, damit Sven noch einmal auf der Bühne stehen und so möglicherweise gerettet werden kann: Sie schreibt ihm ein Theaterstück. So verbindet auch das Theater die beiden – Theater bedeutet Leben, für Sven wie für Lisa.

Die Schweizer Regisseurinnen, Drehbuchautorinnen und Schauspielerinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond, die mit Nina Hoss und Lars Eidinger zwei der besten deutschen Schauspieler für ihren Film verpflichten konnten, setzen auf ein kühles Setting. Es ist Winter, in der Schweiz liegt Schnee. Kühl wirkt auch Lisas Ehe mit Martin, der an einem Schweizer Eliteinternat tätig ist und den gemeinsamen Kindern gern auch eine Eliteausbildung ermöglichen möchte, während es Lisa seit Langem zurück nach Berlin zieht – zu ihrem Bruder. Auch die vielen Szenen im Krankenhaus drücken durch die vorherrschende Atmosphäre Kälte, Einsamkeit und Angst aus, etwa wenn Sven isoliert hinter einem weißen Vorhang liegt und man ihm nur mit Mundschutz gegenübertreten darf.

Nina Hoss und Lars Eidinger tragen den Film durch ihre herausragenden schauspielerischen Leistungen. Nina Hoss gelingt es meisterhaft, gleichzeitig Stärke und Schwäche zu verkörpern. Im Gedächtnis bleibt etwa die Szene, in der Lisa in der Krankenhaus-Caféteria zusammenbricht und gleichzeitig um Fassung ringt. Lars Eidinger, der im wahren Leben Star der Schaubühne ist und dort wie Sven den HAMLET spielt, schaute zur Vorbereitung auf seine Rolle Dokumentationen über todkranke Menschen und stellt den zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen guten Tagen, Rückfällen und unerträglichen Schmerzen hin- und hergerissenen Sven auf beeindruckende Weise dar.
SCHWESTERLEIN ist ein intensiver Film über einen Sterbenskranken und dessen vertrautesten Menschen, ein Film über Geschwisterliebe und über Abschied, ein Film, der bewegt, ohne in Kitsch abzurutschen.

Stefanie Borowsky

SCHWESTERLEIN, Regie: Stéphanie Chuat, Véronique Reymond. Darsteller*innen: Nina Hoss, Lars Eidinger, Jens Albinus, Marthe Keller, Thomas Ostermeier.

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