„Undine“ von Christian Petzold


Mit seinem modernen Märchen von der Wassernymphe Undine stellt Regisseur Christian Petzold bereits zum fünften Mal einen Film im Wettbewerb der Berlinale vor. Zuletzt war er 2018 mit „Transit“ zu Gast, in dem wie in „Undine“ Paula Beer und Franz Rogowski die Hauptrollen spielen. Während Petzold in „Transit“ vergangene und gegenwärtige Flüchtlingsgeschichten zeitgleich in Marseille spielen ließ, verlegt er nun die alte Sage der Undine ins aktuelle Berlin. Der Mythos der Undine lässt sich in ähnlicher Form schon in der griechischen Mythologie finden. Im Lauf der Jahrhunderte haben ihn viele Künstler*innen in Literatur und Musik und später auch im Film bearbeitet, u.a. Friedrich de la Motte Fouqué („Undine„), Hans Christian Andersen („Die kleine Meerjungfrau„) und – in einer feministischen Version – Ingeborg Bachmann („Undine geht„).
Petzolds Undine kommt also als jahrhundertealter Wassergeist in Gestalt einer attraktiven jungen Historikerin aus Berlin-Mitte daher – eine Figur, die zwischen Realität und Traum, zwischen Vergangenheit und Gegenwart ihren Platz einnimmt, wie so oft in Petzolds Filmen, nicht nur in seiner „Gespenster„-Trilogie. Lebten in „Transit“ Gespenster aus der Vergangenheit im heutigen Marseille, so geistert die uralte Undine durch das Berlin der Jetzt-Zeit, bevor sie eines Tages wieder im Wasser verschwinden wird. Vorerst lebt Undine jedoch in einer kleinen Übergangswohnung in der Nähe des Hackeschen Marktes und ist nicht nur als Historikerin Expertin für die Stadtgeschichte Berlins. Denn möglicherweise war Undine schon da, lange bevor Berlin auf trockengelegtem Sumpfgebiet entstand – und erzählt den nichtsahnenden Berlin-Besucher*innen somit von eigenen Erfahrungen, von Undines eigener, mit der Vergangenheit Berlins verwobener Geschichte. Mit Nachnamen heißt Petzolds Undine Wibeau – ein Name, den laut Petzold die Hugenotten nach Berlin mitgebracht haben, so wie sie auch ihre Märchen mitbrachten. Dieser Familienname, den auch schon die Titelfigur in Petzolds „Barbara“ trug, trägt also schon einen Teil der Geschichte Berlins in sich.

Die Idee zum Film „Undine“ kam Petzold nach Ende der Dreharbeiten zu „Transit„, in dem die von Paula Beer verkörperte Figur ins Wasser geht und ertrinkt. Am Abschiedsabend erzählte der Regisseur Beer und Rogowski von der Sage. Die besondere Chemie, die zwischen Paula Beer und Franz Rogowski herrscht, trägt auch diesen Film und macht ihn sehenswert, auch wenn er in seiner Magie, Sogwirkung und Relevanz vielleicht nicht ganz an „Transit“ heranreicht.

Die Vorträge, die Undine über die Stadt Berlin hält, verfasste ein Historiker eigens für den Film. Gesicherte, „trockene“ Fakten zur Geschichte der Stadt Berlin, in der so viel Historie unwiederbringlich verschwunden ist, stellt Petzold dem gegenüber, das man nicht greifen kann – dem Mythischen, dem Märchenhaften, der Zwischen- und Wasserwelt, in der Undine zuhause ist. Mit „Undine“ schafft Petzold Raum für Fantasie, für Gedanken an eine andere Geschichte Berlins, eine, die sein könnte und sich nicht greifen lässt.

Stefanie Borowsky

Undine„; Regie: Christian Petzold; Darsteller*innen: Paula Beer, Franz Rogowski, Jacob Matschenz, Maryam Zaree, Anne Ratte-Polle; Kinostart: 2. Juli 2020

Paula Beer sicherte sich den Silberner Bären für Ihre Darstellung der Undine im Film den Preis als Beste Darstellerin der 70. Berlinale.

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