72. Berlinale: FLUX GOURMET von Peter Strickland


FLUX GOURMET © Flux Gourmet, Bankside Films, IFC Productions I

Kitchen Nightmares

Der britische Regisseur Peter Strickland verfolgt in seinem neuen Werk, das bei der 72. Berlinale die Weltpremiere feierte, den unkonventionellen Schaffensprozess eines kulinarischen Kollektivs, das im Rahmen eines Residenzprogramms auf einem stattlichen Anwesen eingeladen wurde. Im sogenannten Sonic Catering Institute soll die Bandbreite der Kochklänge bis zum Äußersten getrieben werden, wie die Institutsleiterin (Gwendoline Christie) die Vorgänge am Herd beschreibt.

Ein griechischer Schriftsteller (Makis Papadimitriou) begleitet den Schaffensprozess aus nächster Nähe. Dabei ist er ein bisschen zu nah am Geschehen dran, wie er bald herausfinden muss. Er teilt sich das Schlafzimmer, den Esstisch und auch das Klo mit der dreiköpfigen namenlosen Gruppe und soll die Resultate ihrer Forschungsarbeit zu Papier bringen. Sie musizieren mit brummenden Standmixern und brutzelnden Bratpfannen, proben eine mimetische Einkaufsperformance, streiten über kreative Differenzen und präsentieren ihr Klangragout vor einem kritischen Publikum im Halbdunkel. Doch nach wenigen Tagen beginnt der Autor unter ernsten Verdauungsproblemen zu leiden. Seine Besuche bei dem unheimlichen Hausarzt Dr. Glock (Richard Bremmer) bringen keine Linderung. Als das Kollektiv bei seiner Suche nach radikalen Möglichkeiten der akustischen Grenzüberschreitung davon erfährt, wird er zwischen Klospülung und Darmspiegelung zunehmend zum Teil einer künstlerischen Performance gemacht, die auf den ultimativen Tabubruch unter den Gaumenfreuden hin zusteuert. (Kenner von Peter Greenaways THE COOK, THE THIEF, HIS WIFE & HER LOVER (1989) dürften wissen, was gemeint ist.)

FLUX GOURMET Trailer

Strickland hat seit seinem internationalen Durchbruch mit BERBERIAN SOUND STUDIO (2012) das Spiel mit Versatzstücken des transeuropäischen Kunst- und Genrekinos der 60er und 70er Jahre zu seinem Markenzeichen gemacht. Das Setting und die Kostüme in FLUX GOURMET könnten direkt aus einem Werk von Luis Buñuel stammen. Doch statt des diskreten Charmes der Bourgeoisie geht es um beschämende Vitalfunktionen und Lebensmittelunverträglichkeiten. Dabei zollt er keinem Kunstschaffenden eindeutig Tribut, sondern verneigt sich vielmehr augenzwinkernd vor seinen surrealistischen Inspirationsgebern. Auf der visuellen und akustischen Ebene wird (nahezu) ohne Blutvergießen durchgehend ein Bedrohungsgefühl erzeugt, denn der Schrecken kommt in diesem Fall eindeutig aus dem Inneren des menschlichen Körpers.

Mit dem Konzept des „sonic catering“ verfolgt Strickland ein eigenwilliges Passionsprojekt à la carte. Seit den 90er Jahren ist er Teil der Formation The Sonic Catering Band, die sich der experimentellen elektronischen Musik aus dem Kochtopf widmet – die Webseite der Gruppe gibt Aufschluss über die unbeständige Bandgeschichte. FLUX GOURMET ist sein inkohärentester und unzugänglichster Film, der sicherlich nicht jeden Gaumen befriedigen wird. Bis zum Ende wird nie so richtig klar, inwiefern es sich bei diesem kuriosen Hybrid aus Komödie und Horrorfilm über unterdrückte Flatulenz um eine Parodie der dekadenten Avantgarde oder eine Ehrerbietung gegenüber dieser handeln soll. Doch Connaisseure des ambivalenten Arthouse-Films und des metabolischen Midnight-Movies dürften hier auf ihren Geschmack kommen.

Henning Koch

Termine bei der 72. Berlinale
Freitag, 11. Februar, 21:30 Uhr, CinemaxX 7
Samstag, 12. Februar, 12:00 Uhr, Cubix 7
Mittwoch, 16. Februar, 12:30 Uhr, CinemaxX 6
Mittwoch, 16. Februar, 12:30 Uhr, CinemaxX 7
Donnerstag, 17. Februar, 21:00 Uhr, Akademie der Künste
Freitag, 18. Februar, 15:00 Uhr, CinemaxX 6
Freitag, 18. Februar, 15:00 Uhr, CinemaxX 7

FLUX GOURMET, Regie: Peter Strickland, Darsteller*innen: Asa Butterfield, Gwendoline Christie, Ariane Labed, Fatma Mohamed, Makis Papadimitriou, Richard Bremmer