73. Berlinale: FORMS OF FORGETTING von Burak Çevik und NOTES FROM EREMOCENE von Viera Čákanyová


FORMS OF FORGETTING © Fol Film

Was bleibt von mir, mit dir hier, morgen? Zwei Filme bei der Berlinale, die in der Sektion Forum zu sehen sind, geben darauf ganz unterschiedliche Antwort: Burak Çeviks UNUTMA BIÇIMLERI (FORMS OF FORGETTING) und Viera Čákanyovás POZNÁMKY Z EREMOCÉNU (NOTES FROM THE EREMOCENE).

In der Synopse als Reflektion über eine vergangene Beziehung beschrieben, stellt sich FORMS OF FORGETTING die Frage nach den Erinnerungsspuren anhand der Diskrepanzen zwischen den Narrativen, den Lücken, aber auch den Überbleibseln der (gemeinsamen) Vergangenheit. Als Nesrin und Erdem darüber reden, wie sich sich kennengelernt haben, laufen die Tonspuren zweier Zeitebenen über-, in – und auseinander: Wir hören und sehen sie ihre Beziehungsversionen miteinander abgleichen – war er wirklich der geizige Marxist, als den sie ihn ausmalt? Und sie wirklich so sprunghaft, wie sie sich ihm darstellte? – und gleichzeitig hören wir, wie sie im Nachhinein dieses Gespräch noch einmal kommentieren. Die Narrative zweier Personen – so erleben wir es als Zuschauer*innen – sind zwangsläufig nie deckungsgleich, wir vergessen Dinge, die für die andere Person essentiell wichtig sind. Wir konstruieren im Erinnern, Vergessen und Sprechen neue Wahrheiten. Damit stellt FORMS OF FORGETTING auch die Frage: Was heißt das dann für die Geschichten, an denen sogar mehr als zwei Personen beteiligt sind, Gruppen, und schlussendlich: die große Menschheitsgeschichte? Burak Çevik verwebt die Beziehungsebene gekonnt mit der dieser gesellschaftlichen und philosophischen Dimension von Erzählungen: die zu den Erinnerungen passenden Bilder von besichtigten Ruinen, Elefantenhaut, das Einreißen einer Hauswand oder Waldspaziergänge werden immer zugleich privat und politisch diskutiert. Das Verweben dieser „forms of forgetting“ ist spielerisch, bisweilen unglaublich humorvoll. Ein liebevoller Blick auf eine vergangene Beziehung, in der beide gern noch gemeinsam über die Welt nachdenken.

Das Gemeinsame ist beim experimentellen Essayfilm NOTES FROM THE EREMOCENE längst abhanden gekommen: Im inszenierten Gespräch zwischen digitalem Zukunfts-Ich der Filmemacherin und einer KI präsentiert sich das Jetzt und Hier als das längst vergangene Zeitalter der Einsamkeit, in dem die Menschheit sich mit der Vereinzelung und dem drohenden Untergang der „alten“ analogen, physischen Welt abgefunden hat, bevor der Mensch ausgestorben ist. In mühevoller Kleinstarbeit versucht das Zukunfts-Ich Post-Eremozän die alten haptischen und emotionalen Realitäten menschlicher Wesen nachzuvollziehen. Denn das alte Ich, ein Botomori (=die letzte physische Generation), ist nur noch anhand der gescannten analogen Filmschnipsel in Super8 und 16mmm auffindbar, die sich immer wieder in der Pixelwelt und Datenabstraktionen auflösen. Nick Cave und Woodkid liefern den Soundtrack dazu. Neue Begrifflichkeiten existieren, das Wort Depression muss der Rechner dagegen erst einmal in den vielen Dateibäumen suchen, clustern, ordnen. Die Maschinen haben übernommen, DAO regiert.

NOTES FROM EREMOCENE © Viera Čákanyová

Es passiert viel (vielleicht: zu viel) in Viera Čákanyovás Film, auch zeitgleich, wenn sich Neologismen (hier gibt es mehr zur Begriffsklärung: https://www.arsenal-berlin.de/en/forum-forum-expanded/forum-programme/main-programme/poznamky-z-eremocenu/glossary-and-image-gallery-a-willing-collaborator/) und Bild überlagern, um dann wieder in Archivmaterial – allen voran ein schöner Strand, das angeblich letzte Bild des physischen Ichs – überzugehen: Weihnachtsdeko-Impressionen wechseln sich ab mit Demonstrationen und Klimaprotesten als finalem Aufbegehren oder auch Burning Man als hedonistischem Abfeiern der letzten Lebensminuten. Den roten Faden bilden Textversatzstücke des Bitcoin-Erfinders Satoshi Nakamoto und Ralph C. Merkle (Pionier asymmetrischer Kryptosysteme), die die (beängstigenden) Potentiale von Blockchain für eine KI-geführte Zukunft thematisierten und damit die Blaupause für diese dystopische Welt lieferten, in der der Mensch keine Rolle mehr spielt. War Games lässt grüßen. Am Ende gewinnt laut Viera Čákanyová mit der Technik auch das darwinistische Prinzip: Ein Teil der Menschen ergibt sich der neuen Realität und wird Datenmasse, der andere krepiert an den menschgemachten Katastrophen des Klimawandels. Das Menschliche am Menschsein – irgendwann ist es vergessen, könnte genausogut nie existiert haben.

Ganz so kalt und negativ begreift FORMS OF FORGETTING den Prozess des Vergessens eben nicht – und ihm entgeht auch nicht die Poesie der Tragik. Da fällt dann auch mal der Satz: „Auch das, was man vergisst, ist Teil von einem, macht einen aus“. Erinnern und Vergessen komplementieren, ja: bedingen sich. Gerade in Kombination mit der architektonischen Manifestation von Erinnern und Vergessen in alten Stadtruinen, aber auch neu entstehenden Gebäuden (darunter das neue Museum İstanbul Modern) wirkt dies auch wie ein politischer Kommentar: Egal, wie revisionistisch eine Staatsführung ein Staatsnarrativ präsentiert – ein Verlust des tatsächlich Geschehenen ist so nie wirklich möglich.

FORMS OF FORGETTING bei der 73. Berlinale:

Samstag, 18. Februar, 20:30 Uhr,Kino Arsenal 1

Freitag, 24. Februar, 16:00 Uhr, Zoo Palast 2

Samstag, 25. Februar, 17:00 Uhr, Werkstattkino@silent green

NOTES FROM EREMOCENE bei der 73. Berlinale

Montag, 20. Februar, 16:00 Uhr, Kino Arsenal 1

Donnerstag, 23. Februar, 20:00 Uhr, Werkstattkino@silent green

Samstag, 25. Februar, 19:00 Uhr, Zoo Palast 2

Sonntag, 26. Februar, 16:00 Uhr, Cubix 7