MIT EINEM TIGER SCHLAFEN von Anja Salomonowitz


MIT EINEM TIGER SCHLAFEN © coop99 Filmproduktion
MIT EINEM TIGER SCHLAFEN © coop99 Filmproduktion

„Ich verachte die Abhängigkeit der technologisierten Künstler“, sagt Maria Lassnig (Birgit Minichmayr) mit schön missbilligenden Mundwinkeln, nachdem sie kurz beobachtet hat, wie die blutjunge Valie Export mit zig Assistenten um ihre Videoinstallationen bei der documenta 1980 im österreichischen Pavillon herumwuselt. Es ist ein kleines Kulminationsmoment in Anja Salomonowitz’ Biopic der österreichischen Avantgarde-Künstlerin (1919-2014). Weil er den Durchbruch in der internationalen Kunstszene und die Kanonisierung von Lassnig festhält, aber gleichzeitig sichtbar macht, warum sie nie ganz dazugehören konnte/wollte.

Dieses Widerständige in Lassnigs Leben, das arbeitet Salomonowitz immer wieder heraus, ist nicht nur die klare Ablehnung von Medienkunst und digitalen Mitteln bei der Kunstproduktion, sondern auch die Unfähigkeit, Selbst-Marketing zu betreiben oder die Unwilligkeit, Banden zu gründen. Zum Beispiel eben mit Export. Denn die feministische Bewegung und die alleinige Lesart ihrer Kunst als feministische Kunst schien Lassnig, das macht der Film deutlich, völlig fremd zu sein. Sie hing einem klassischen solitären Geniebegriff an, den sie durchaus für sich beanspruchte. Sieht denn niemand, verdammt noch mal, wie gut das ist, was ich hier mache?

Salomonowitz räumt der Kunst an sich dann auch viel Platz ein im Biopic, zeigt Lassnigs großformatige, mutige Bilder eben nicht nur während der Entstehung, sondern lässt sie auch mal zwischen den Filmszenen für sich genommen stehen. Und den Animationsfilm SELFPORTRAIT schneidet sie ebenso hinein. Als respektzollende Geste, die der Kunst immer wieder Priorität einräumt vor der Künstlerin selbst. Immer wieder sehen wir Lassnig außerdem im Atelier sitzen. Nicht nur malen, auch überlegen. Das Atelier ist der biografische Faden; Lassnigs Denkraum.

Ebenso formal konsequent hat sich Salomonowitz entschieden, das Biopic entgegen naturalistischer Konventionen zu inszenieren: Ihre Lassnig wird immer – egal ob sie 7 ist, 20 oder 90 – von Birgit Minichmayr ohne Maske und große Props verkörpert. Die fast schon weise Großäuigkeit, als die Familie um ihre Errettung betete als sie klein und sterbenskrank war, aber auch die letzten Momente im Atelier, als sich Lassnig nur noch mit Mühe bewegen konnte. Ein weiteres Stilmittel ist der Bruch mit der vierten Wand: Minichmayr wendet sich immer wieder an das Publikum, so wie in der documenta-Szene; auch so bewahrt der Film eine Distanz zur Person Lassnig, aber auch dem seltsamen Genre des Biopics an sich. Weil MIT EINEM TIGER SCHLAFEN auch zwischen den Zeiten springt, obliegt es allein Minichmayr mit ihrer Bühnenpräsenz und ihrem ohnehin ja körperlichen Spiel auch die zeiträumliche Glaubwürdigkeit herzustellen. Eine große Aufgabe, aber Minichmayr überzeugt in jeder Szene.

Salomonowitz erliegt mit ihrem Biopic auch nicht der großen Versuchung, charakterliche Defizite zugunsten der Kunst auszublenden. Lassnig war kompromisslos in ihrem künstlerischen Schaffen, alles hatte sich unterzuordnen, die meisten Menschen waren nur Geburtshelfer*innen der jeweils nächsten Schaffensperioden. Diese Abgebrühtheit, die bisweilen die reine Kälte ist, sucht Salomonowitz im entfremdeten, schmerzhaften Mutter-Tochter-Verhältnis zu begründen – Lassnigs Mutter (schön hart: Johanna Orsini) nahm die Kunst ihrer Tochter zeitlebens nie ernst, gab ihr immer das Gefühl, nicht zu genügen. Ein Wermutstropfen ist das NS-Kapitel in Lassnigs Leben: Sie studierte unter Wilhelm Dachauer und Ferdinand Andri, zwei Künstlern, die in der NDSAP und regimetreu waren – Dachauer wurde sogar in der „Gottbegnadeten-Liste“ des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda geführt. Hier durchbricht Minichmayrs Lassnig ein weiteres Mal die vierte Wand, als sie die Akademie nach ihrer Aufnahme in die Klasse verlässt und lapidar bemerkt: „Vielleicht habe ich deswegen nie gern mit braun gemalt“. Die flapsige Nebensächlichkeit, mit der dieses biografische Kapitel abgespeist wird, passt nicht gut zum ansonsten so minutiös recherchiert wirkenden Film.

Selbst wenn man Lassnig folgt und sie eben nicht als Trailblazerin für eine neue auch weibliche Kunst ins Felde führen möchte: Man kommt nicht umhin, beim Biopic mitzuschauen, wie Lassnig beispielsweise Arnulf Rainer (Oskar Haag), mit dem sie anfangs liiert war, den Weg ebnete – nur, damit dieser ihr dann regelrecht Ideen zu klauen schien. Und man kommt auch nicht umhin, Lassnigs Härte und Sprödigkeit auch als Reaktion auf diese sehr männlich geprägten Strukturen hin zu deuten, die eine „Störerin“ wie sie nicht vorsahen. Dass Lassnig heute auch mit ihren Animationsfilmen aus den 70ern einem sehr breiten Publikum bekannt ist – und dieses Biopic auch seinen Teil dazu leistet – dass ist eine schöne nachträgliche Korrektur, die Lassnig vermutlich mit einem „eh verdient“ quittieren würde.