74. Berlinale: MY FAVOURITE CAKE (OT: KEYKE MAHBOOBE MAN) von Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha


Im 2024er Wettbewerb der Belinale: KEYKE MAHBOOBE MAN (MY FAVORITE CAKE). © Mohammad Haddadi_berlinale-2024

Mahin, Freiheit, Leben

Der mutigste Film im Wettbewerb der 74. Berlinale, leider mit keinem Bären, jedoch mit dem Fipresci-Preis und dem Preis der Ökumenischen Jury ausgezeichnet, stammt vom iranischen Regieduo Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha, deren Plätze in der deutschen (Film-)Hauptstadt leer blieben: Die iranische Regierung ließ das Ehepaar nicht zur Weltpremiere seines Films ausreisen. Das Berliner Publikum feierte die Geschichte einer einsamen alten Dame auf Männersuche, die sich nicht von der Sittenpolizei bevormunden lässt, mit Standing Ovations – und auch bei den Berliner Filmfestivals-Autor*innen kam der Film überdurchschnittlich gut an.

Die 70-jährige Mahin (Lily Farhadpour) lebt allein. Bereits vor 30 Jahren ist der Mann der rüstigen Teheranerin verstorben, deren Tage aus Schlafen (bis mittags, mindestens!), Blumengießen, Einkaufen und Fernsehen bestehen. Wenn sich Mahin die Nägel lackiert, während sie eine romantische TV-Serie schaut, macht sie sich nur für sich selbst schön. Mahins Tochter lebt mit ihrer Familie in Europa und ruft viel zu selten an. Mahins Freundinnen sind auch nicht mehr die Jüngsten – und reden über Themen, die Seniorinnen nun mal beschäftigen: vor allem diverse Krankheiten. Als eine der Damen beim Kaffeekränzchen ein Video von ihrer Darmspiegelung herumzeigt, reicht es Mahin endgültig. Ihr Leben ist noch nicht vorbei – und endlich muss ein neuer Mann her!

Gesagt, getan. Selbstbewusst und mit dem Blick auf die Subjekte ihrer Begierde gerichtet zieht Mahin durch die iranische Hauptstadt – und landet in einem Restaurant, in dem ein paar ältere Herren ihre Mittagspause verbringen. Als sie mitbekommt, dass einer der Männer wie Mahin allein lebt und außerdem als Taxifahrer arbeitet, folgt sie ihm kurzerhand – und lässt sich von ihm nach Hause fahren. Obwohl Faramarz (Esmail Mehrabi) zuerst zurückhaltend auf Mahins recht unmissverständliche Avancen reagiert, taut er schnell immer mehr auf – und lässt sich spontan von Mahin in deren Haus einladen.

Die beiden einsamen Turteltäubchen verbringen einen wunderbaren Abend – ein geradezu traumhaft-perfektes Rendezvous. Faramarz bewundert Mahins Garten, sie trinken gemeinsam Wein, Mahin backt ihrer Männerbekanntschaft einen Kuchen, sie tanzen und lachen zusammen. Der schüchterne, unbeholfene Faramarz scheint sich zunehmend wohler mit der forschen Mahin zu fühlen. Doch gerade als es am schönsten ist, hält die brutale Realität Einzug in Mahins und Faramarz’ kurzes Glück – und Mahin muss Konsequenzen der iranischen Behörden befürchten.

Das Regieduo Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha stellte bereits 2021 BALLADE VON DER WEISSEN KUH, einen eindrücklichen regimekritischen Film über eine junge Frau in Iran, deren Mann zu Unrecht hingerichtet wurde, im Wettbewerb der Berlinale vor. Die iranische Regierung belegte das Ehepaar, das in seinem neuen Film MY FAVOURITE CAKE mit Tabus bricht und eine ältere Frau und ihren Wunsch nach einem neuen Partner ins Zentrum stellt, mit einem Ausreiseverbot, so dass Moghaddam und Sanaeeha ihren Film nicht selbst auf der Berlinale 2024 vorstellen konnten.

Nachdem das iranische Filmpublikum jahrzehntelang nur Frauen mit Hijab – selbst bei der Hausarbeit und im Bett – im Kino sah, war es dem Regieduo ein Anliegen, endlich auf die Leinwand zu bringen, wie Frauen in Iran hinter verschlossenen Türen wirklich leben, was sie umtreibt, wovon sie träumen.

Protagonistin Mahin, die über weite Teile des Films ohne Kopfbedeckung zu sehen ist, eine mutige, unabhängige Frau, lässt sich nicht bevormunden und kämpft für ihre Rechte. Als sie in einem Park, in den ihre Männersuche sie geführt hat, mitbekommt, dass ein paar junge Frauen verhaftet werden sollen, weil wenige Zentimeter ihrer Haare sichtbar sind, macht sie ihnen Mut, sich zu wehren, und legt sich selbst mit der Sittenpolizei an.

Schauspielerin Lily Farhadpour, die auch als Schriftstellerin und Übersetzerin tätig ist und als Menschenrechtlerin und Mitglied der NGO „Mütter für den Frieden“ bereits in einem Teheraner Gefängnis festgehalten und gegen Kaution wieder freigelassen wurde, ging ein großes Risiko ein, indem sie die Rolle der Mahin annahm.

Farhadpour und ihr Kollege Esmail Mehrabi überzeugen durch ihr glaubwürdiges (Zusammen-)Spiel und tragen den Film, der auch von seinem leisen Humor lebt. MY FAVOURITE CAKE kommt über lange Strecken – allen Hindernissen zum Trotz – vor allem als Liebeskomödie über zwei Senior*innen daher. Der Plottwist gegen Ende des Films wirkt nach dem zuvor größtenteils humorvoll-weichen Ton des Films umso stärker und zeigt noch einmal überdeutlich, was den Film ohnehin durchzieht: die Unfreiheit der Frauen, die allgegenwärtige Kontrolle und die Angst vor den iranischen Behörden.

Moghaddam und Sanaeeha drehten schon, als die wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Hijab-Gesetz von der Sittenpolizei verhaftete Jina Mahsa Amini mutmaßlich gewaltsam getötet wurde und in Iran die größten Proteste seit der Islamischen Revolution 1979 begannen. Mahins Geschichte, die das Regieduo analog zu der nach Aminis Tod entstandenen Bewegung den Frauen, dem Leben und der Freiheit widmet, bewegt vor allem durch ihren politischen Hintergrund und die zahlreichen Verweise auf die allgegenwärtige systematische Misogynie in Iran. MY FAVOURITE CAKE öffnet Augen und Herzen – und hallt noch lange nach.

Stefanie Borowsky

MY FAVOURITE CAKE (OT: KEYKE MAHBOOBE MAN) von Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha; mit Lily Farhadpour, Esmail Mehrabi, Kinostart: 11. Juli 2024