„A Good American“ von Friedrich Moser



In seiner ersten Hälfte widmet sich Friedrich Moser vorrangig dem zum Helden stilisierten Porträt des „brillanten Geistes“ Bill Binneys, seiner Laufbahn vom militärischen Geheimdienst zur NSA und seiner genialen Begabung als Analyst, Mathematiker und Dechiffrierer, die schließlich zur Entwicklung des Überwachungsprogramms ThinThread führten. Binney selbst ist ein eher unaufgeregter, sachlicher und in die Jahre gekommener Mann, der durch eine Diabetiserkrankung auf den Rollstuhl angewiesen ist. Nur wenn es sich um mathematische Fragen dreht, ist der aus der Wildnis Pennsylvanias stammende 72-Jährige ganz Feuer und Flamme. Das von ihm und seinem Kollegen Ed Loomis in Eigenregie und unter dem Dach des Signals Intelligence Automation Research Center (SARC) entwickelte ThinThread schien dem verstaubten Nachrichtendienst NSA den Weg aus dem analogen Zeitalter und der ungeordneten Datenflut hinein ins digitale zu weisen. Unterstützung fanden sie schnell durch eine Kongressmitarbeiterin im Geheimdienstausschuss, Diane Roark, die mit der Beaufsichtigung der NSA betraut war. Aber die Mühlen der Modernisierung arbeiten zäh, langsam und absurd weltfremd – und einige Mitarbeiter im NSA-Apparat hatten offenbar andere Pläne.
Als Michael Hayden 1999 seinen Dienst als neuer NSA Direktor antrat, machte er die Pläne um ThinThread endgültig zunichte. Diesem Teil der Geschichte widmet sich die zweite Filmhälfte und deckt dabei nicht nur grobe Fahrlässigkeiten und Inkompetenz in der Führungsriege auf, sondern deutet auch Machtmissbrauch, Korruption und Vertuschung innerhalb der NSA an.

Erzählbaustein für Erzählbaustein baut Dokumentarfilmer Moser seinen Film und die Chronologie seiner Geschichte aus den Interviews, Archivmaterial, nachgestellten Szenen und Nachrichtenfragmenten zusammen. Zu Wort kommen allerdings nicht mehr als sechs Leute: Bill Binney und Ed Loomis, die stolzen Eltern ThinThreads, Kirk Wiebe, ein weiterer NSA-Datenanalyst, Software Ingenieur, Whistleblower und ehemaliger leitender NSA-Angestellter Tom Drake, Diane Roark, Mitglied des Geheimdienstausschusses im Kongress mit Aufsichtsfunktion über die NSA, und die Anwältin Jesselyn Radack. Es sind die Menschen, die ThinThread ursprünglich aus der Taufe heben wollten, die bis heute seine Brillanz verteidigen, jene, denen bis heute verwehrt wurde, das Programm zur Anwendung zu bringen.
Jeder ihrer Versuche war zum Scheitern verurteilt, denn die Geschichte ThinThreads hätte nicht nur die Inkompetenz der Verantwortlichen bloßgestellt, so sagen sie, sondern sehr viele Fragen zu den Terrorakten im September 2001 angestoßen. Einen größeren Skandal könnte es nicht geben. Unkommentiert lässt Moser jede Aussage seiner Protagonisten stehen, lediglich die Dramatik der Enthüllungen will er regelmäßig unterstrichen sehen und kitzelt des Zuschauers Nerven aufdringlich oft mit Violinen und Trompeten – der Soundtrack stammt von Christopher Slaski und Guy Farley – ganz im Stil Errol Morris‘ („Standard Operating Procedure„, „The Unknown Known„).
Auch konkrete Belege über das, was sicher das Gros der Zuschauer am Film am meisten interessieren würde, wie ist es möglich Datenschutz und Massenüberwachung zu vereinen, bleibt Moser am Ende dem Publikum schuldig. Ganze drei bis vier eher allgemeiner gehaltene Sätze fallen in der Mitte des Filmes dazu. Sie wirken wie ein Lippenbekenntnis.

Undistanziert und einseitig ist der Blick des Regisseurs auf die geschilderten Tatsachen. Kein Außenstehender kommt je zu Wort, der die Darstellungen untermauern würde. Entscheidungsträger und Mitverantwortliche wie Michael Hayden, Maureen Baginski oder Sam Visner, denen im Film der Vorwurf gemacht wird, sie hätten das unausgereifte und stümperhafte Trailblazer-Programm zum Laufen gebracht, weil sie zum einen der Modernisierung eines antiquierten und verstaubten Geheimdienstes nicht gewachsen waren und zum anderen eigenen wirtschaftlichen Interessen den Vorrang gaben, haben jede Interviewanfrage zum Film abgelehnt, wie im Abspann der Doku erklärt wird. Doch warum Moser nicht einen externen Experten zu Wort kommen lässt, denn da hätte es einige gegeben, die all die Aussagen seiner Protagonisten hätten belegen können, darunter die New York Times Journalisten James Risen, Eric Lichtblau oder Jane Mayer vom New Yorker, die Moser auch durchaus als Quellen für seine Recherche genutzt zu haben scheint. Weder die Hackerszene wie beispielsweise der Chaos Computer Club – die waren bereits im Dezember 2012, sechs Monate vor den Snowdenenthüllungen, von Binney und Drake in einem Vortrag über die Überwachungsmethoden der NSA informiert gewesen – noch andere Datenschützer kommen zu Wort, um dem Zuschauer andere Perspektiven zu öffnen.
In einem Interview erklärt Moser, dass es ihm reichte, dass die im Film besprochenen Tatsachen sowohl vom NSA-Mitarbeiter Pat Eddington als auch einem nicht näher beschriebenen Unbekannten, den Moser auf einem formlosen Meeting 2015 traf, bestätigt wurden. Das Publikum, das sehr wahrscheinlich von ThinThread und Co. noch nie etwas gehört hat, weiß von diesen Quellen nichts und muss den Darstellungen im Film vertrauen. So bleibt am Ende das Gefühl zurück, einen Werbefilm über das „gute“ Überwachungsprogramm ThinThread angesehen zu haben, denn der künstlich dramatische Ton, die stark emotional gesteuerte und auf Sensation gebürstete Dramaturgie und die Protagonisten, die so berauscht von der Genialität ihres Programms sprechen und so enttäuscht über die bis heute verwehrte Anerkennung sind, wirken am Ende sehr manipulativ und einseitig. Moser, der sich in einem Interview als großer Agentenfilmefan outet und immer schon einen hat selber drehen wollen, will seinen Enthüllungen unbedingt den Anstrich eines Politthrillers verpassen. Für einen Film mit dieser Brisanz fatal dramatisch.

SuT

A Good American„, Regie: Friedrich Moser, Kinostart: 3. November 2016

1 2