„Berlin Rebel High School“ von Alexander Kleider
Eine andere Schule ist möglich
Alex, Mimy, Hanil, Lena, Marvin und Florian: Sie alle sind Schülerinnen und Schüler der SFE (Schule für Erwachsenenbildung) in Berlin-Kreuzberg und haben schon einiges hinter sich: Mobbing, schwierige Familienverhältnisse, Schulwechsel, Probleme mit Autoritäten oder Drogenkonsum. An der SFE bekommen sie die Chance, doch noch Abitur zu machen – vielleicht die letzte. Die basisdemokratische Schule lässt ihnen viele Freiheiten, doch die Selbstverantwortung im großen Kollektiv ist eine Herausforderung, der nicht alle gewachsen sind.
Erste Szene: Vergabe der Abiturnoten im Klassenraum. Ungläubige Schülergesichter. Dann Schnitt. Schülerinnen und Schüler in der Bahn auf dem Weg zur Schule, kreuz und quer durch Berlin. Aus der Vogelperspektive nähert sich die Kamera einem alten Fabrikgebäude in Kreuzberg und sofort wird klar: Das hier ist keine normale Schule. Ein Hinterhof, dann der Weg durchs Treppenhaus, vorbei an Graffitis, Postern und Aufklebern in bunten Farben. So bunt wie das Gebäude sehen auch die Schülerinnen und Schüler aus, die hier durch die Gänge streifen. Alle sind willkommen – sogar Hunde dürfen mit in den Unterricht genommen werden. Alex, Mimy, Hanil, Lena, Marvin und Florian wurden an ihren alten Schulen abgestempelt – und das wird im Film gleich zu Beginn visuell umgesetzt. Rote Stempel werden auf die Gesichter der Schülerinnen und Schüler gedrückt. „Abbruch“, „Rauswurf“ oder „suspendiert“ steht da. Ein paar Szenen später das Büro der SFE. Ein neuer Schülerausweis. Ein neuer Stempel. Ein neuer Anfang.
An dieser Schule ist alles anders. Es gibt keinen Direktor, keine Noten, keine Sitzordnung, keine Zeugnisse und keine Hierarchie. SchülerInnen und LehrerInnen begegnen sich auf Augenhöhe. Die SFE begreift sich als ein großes Kollektiv, in dem alle Verantwortung übernehmen dürfen und müssen. Auch Küchendienst und Toilettenputzen gehören dazu. Ein wichtiger Bestandteil des basisdemokratischen Konzepts ist die Vollversammlung, die alle zwei Wochen stattfindet. Hier darf und muss über alles diskutiert werden, denn die Schule verwaltet sich selbst – unabhängig vom Staat und ohne Fördergelder. Die Schülerinnen und Schüler bezahlen ihre Lehrerinnen und Lehrer selbst – über die 160 Euro Schulgeld, die monatlich zu entrichten sind. Ob Deutschlehrer oder Schulsekretärin – jeder und jede verdient hier das Gleiche: 12,50 € pro Stunde. Im Konfliktfall können Lehrerinnen und Lehrer von der Schülerschaft abgewählt werden und umgekehrt können auch sie Klassen abwählen, mit denen sie nicht zurechtkommen.
Alexander Kleiders Dokumentarfilm „Berlin Rebel High School“ begleitet Alex, Mimy, Hanil, Lena, Marvin und Florian drei Jahre lang durch Höhen und Tiefen auf ihrem Weg zum Abitur und gibt auch LehrerInnen und anderen MitarbeiterInnen Raum, ihre Sicht auf das besondere Konzept der SFE zu schildern. Beate Ulreich, einst selbst Schülerin an der SFE, beobachtet heute als Schulsekretärin drei Phasen, die die meisten Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zum Abitur durchleben: 1. Begeisterung, 2. Ernüchterung, 3. Produktive Panik – diese drei Phasen gliedern den Film. Im Stil eines Countdowns am schuleigenen schwarzen Brett, an den sich sicher jeder ehemalige Abiturient erinnert, werden auch im Film die verbleibenden Tage bis zum Abitur gezählt.
Mehr als 10.000 ehemalige „Schulversager“ schafften an der SFE bereits einen Schulabschluss, doch trotzdem ist auch an der SFE die Abbrecherquote hoch. „Die SFE ist kein Paradies für Hänger“, weiß Schulsekretärin Beate Ulreich. Die nötige Disziplin muss man sich selbst auferlegen – auch das gehört zur Freiheit. Bei schönstem Sommerwetter zum See oder doch in die Schule fahren? Die Entscheidung muss an der SFE jeder für sich allein treffen. Fehlstunden werden nicht ins Klassenbuch eingetragen wie an staatlichen Schulen, aber die Klassengemeinschaft reagiert frustriert, wenn immer wieder dieselben Mitschüler fehlen und der Unterricht darunter leidet.
Auch der Deutschlehrer Klaus Trappmann, der die SFE seit Jahrzehnten mitprägt, kommt im Film ausführlich zu Wort. Klaus, den alle duzen, ist Lehrer aus Idealismus und Leidenschaft und lässt seine Literaturkurse ab und an im eigenen Schrebergarten stattfinden. Da er an der SFE deutlich weniger verdient als seine Kollegen im staatlichen Schuldienst, wird er einmal mit sehr wenig Rente auskommen müssen. Über 2500 Schülerinnen und Schüler hat er schon zum Abitur geführt.