„Boyhood“ von Richard Linklater



Eine Ordnung von Masons Leben nach Kapiteln oder Jahreszahlen, die die zeitliche Kontinuität veranschaulichen sollen, hatte Linklater bei seiner gewählten Perspektive allerdings nicht im Sinn. Musik und technologischer Wandel, Politik und Popkultur ermöglichen nicht nur die zeitliche Eingrenzung, sondern spannen auch den Bogen zwischen Figur- und Zuschauergeschichte, in der ein kollektives Erinnern möglich wird. Aus Bush wird Obama, aus einfachen Klapphandies werden Smartphones, aus Harry Potter wird Twilight. In „Boyhood“ fusioniert Coming-of-Age mit Kulturgeschichte. Dinge, die das eigene Gedächtnis vormals noch als Bestandteile der Gegenwart abgespeichert hat, werden nun als vergänglich und vergangen erfahrbar, eingeschrieben und konserviert in einem Film über die Flüchtigkeit des Erwachsenwerdens, über die Flüchtigkeit des Lebens allgemein.

„I just thought there would be more“, sagt Olivia gegen Ende des Films zu einem inzwischen 18-jährigen Mason, der im Begriff ist, zuhause auszuziehen und aufs College zu gehen. Auch das ‚Mehr‘ im Leben ist es, das Linklater seinem Film konsequent entzieht, in dem Wissen, dass die Geschichte eines Individuums nicht aus fünf Akten und einer Klimax besteht. Entscheidend ist für ihn das Dazwischen, das in anderen Filmen normalerweise durch eine Agenda der Rührseligkeiten als irrelevant eingestuft wird, in „Boyhood“ aber nun genau unterstreicht, was persönliches Erinnern eigentlich bedeutet: Die subjektive Gewichtung von Ereignissen und Begegnungen, in der vermeintlich Wichtiges manchmal verblasst, während vermeintlich Unwichtiges rückblickend eine neue Relevanz erhält. Das Leben ist das, was dazwischen passiert und meistens undokumentiert bleibt. Und „Boyhood“ ist ein Film, der gerade durch sein Faszination am Alltäglichen eine Geschichte zu erzählen weiß, die über zwölf Jahre hinweg nicht nur mit ihrem Protagonisten gewachsen ist, sondern auch zu etwas Großem , etwas Unvergesslichem herangereift ist.

Alina Impe

Boyhhod„, Regie: Richard Linklater, Darsteller: Patricia Arquette, Ethan Hawke, Ellar Coltrane, Tamara Jolaine, Sam Dillon, Kinostart: 5. Juni 2014, Wieder im Kino ab 22. Januar 2015,

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