„Computer Chess“ von Andrew Bujalski
Empathie für den Retro-Nerd
Es gab mal eine Zeit, als Nerds noch nicht cool waren. Eine Zeit, lange vor „The Big Bang Theory„, vor der Erfindung der PlayStation und sogar noch bevor man Guybrush Threepwood durch die zweidimensionale Pixelwelt von Monkey Island manövrierte. Als Computer noch keine hochauflösenden Grafiken und High Speed-Prozessoren hatten. Als noch niemand die Tetris-Melodie kannte. Damals, 1984.
„Computer Chess“ setzt genau in diesem Jahr an und portraitiert damit den Vorläufer der Spezies Homo Technicus, die heute vorm Einschlafen mit dem iPhone kuschelt: Den Ur-Nerd. Durch ein Schachcomputer-Turnier jährlich in einem Provinz-Hotel zusammengeführt, kämpfen mehrere Teams um den begehrten Status, ein Programm zu entwickeln, dass sogar gegen einen Menschen gewinnen kann. Dass dieser Traum erst gut eine Dekade später wirklich in Erfüllung gehen wird, weiß natürlich noch niemand.
Mit einer originalen Sony Schwarz-Weiß-Kamera gedreht, strotzt „Computer Chess“ nur so vor Retro-Feeling. Gigantische Monitore und Rechenmaschinen werden über die Flure getragen, Hornbrillen zurechtgerückt, die einzige Frau in diesem männerdominierten Business erhält erfreuten Zuspruch. Sie sind unter sich, weit weg von der normalen Welt, in der man lächeln muss, Smalltalk hält und zum Socializen gezwungen wird. Naja, nicht ganz, denn unglücklicherweise beansprucht auch ein Wochenendworkshop für Paare den Seminarraum des Hotels. Während dort Menschen unter der Anleitung eines afrikanischen Gurus ihr erotisches Karma mit Backwaren wiederentdecken wollen oder sich im Sinne einer symbolischen Reinkarnation sich durch einen multipersonalen Uterus quetschen, schwitzen die Nerds bei ihren Turnieren Blut und Wasser. Die Konfrontation beider Gruppen bleibt unausweichlich. Soziophobie versus Soziomanie.
Als Peter, ein junger Programmierer, von einem älteren Ehepaar aus dem Workshop aufs Zimmer eingeladen wird, entgeht ihm zunächst der Wink mit dem Ménage-à-trois-Zaunpfahl. Peter könnte so viel mehr aus seinem Leben machen, befindet das Paar. Der Mann im zu kurz geratenen Bademantel öffnet schon mal die Bluse seiner Frau. Peter verlässt mit Lichtgeschwindigkeit das Zimmer. Was für das abgehalfterte Ehepaar Verführungskunst ist, bleibt für den Programmierer eine massive Grenzübertretung. Man versteht ihn, diesen schüchternen Typen mit Seitenscheitel und gesenktem Blick, dessen Leben durch komplizierte Algorithmen bestimmt wird. Wenn es um polnische Abgänge geht, sind wir doch alle gleich.
In Andrew Bujalskis „Computer Chess“ regiert Fair Play, nicht nur im Sinne des akribisch-korrekt durchgeführten Wettbewerbs, auch durch seine Fürsprache für technikaffine Eigenbrötler. Ohne die würden wir heute das Feuer in der Höhle austreten, bevor wir uns mit einem Bündel Stroh zudecken. Im Film fällt der häufiger der Name Nicola Tesla. Der war vermutlich auch kein charismatisches Partytier.
Alina Impe
„Computer Chess„, Regie: Andrew Bujalski, Darsteller: Patrick Riester, Wiley Wiggins, Myles Paige, Robin Schwartz, Gerald Peary, Kinostart 7. November 2013