„Jack“ von Edward Berger
Kompromisslos Hinsehen
Edward Berger brennt ein Missstand unter den Nägeln. In einer egoistischen Welt ist der empathische Seitenblick, das Mitgefühl für den Mitmenschen abhanden gekommen. Da tingeln zwei Kinder tagelang durch Berlin. Niemand nimmt sich ihnen ernsthaft an, niemand investiert ein wenig Zeit und Aufmerksamkeit – als könne diese Irrfahrt ewig weitergehen. Und natürlich könnte sie das theoretisch auch. Täglich begegnen uns Menschen, denen nur ein klein wenig Hilfe einen neuen Weg bereitet könnte. Doch aus reiner Bequemlichkeit haben wir uns daran gewöhnt, wegzusehen.
Edward Bergers Gesellschaftskritik ist berechtigt, seine Reaktion konsequent: kompromissloses Hinsehen. Im wahrsten Sinne des Wortes – denn tatsächlich kommt keine Szene in Jack ohne den gleichnamigen Protagonisten aus. Der 10-jährige wächst gemeinsam mit seinem vier Jahre jüngeren Bruder Manuel bei der Mutter auf. Diese ist zwar liebevoll, jedoch sprunghaft, unzuverlässig und überfordert. Bald landet Jack im Heim, wo ihn vor allem die Aussicht auf Sommerferien mit seiner Familie am Leben hält. Doch zum ersten Ferientag ist die Mutter verschwunden. Jack sieht nur einen Ausweg: Er sammelt den heißgeliebten Manuel ein und begibt sich auf die Suche nach seiner Mutter.
Was folgt ist eine viertägige Odyssee durch Berlin, Hauptstadt des Egoismus. Die bewundernswerte Reife, die Jack als einfühlsamer Ersatzpapa und cleverer Navigator durch den Großstadtdschungel an den Tag legt, geht den erwachsenen Filmcharakteren leider komplett ab. Nach und nach klappern die zwei Brüder den Bekanntenkreis ihrer Mutter ab, ernten stets warme Worte und kalte Schultern, bleiben letztendlich vollkommen unnötig auf sich allein gestellt. Tatsächlich ist der 10-jährige Jack der mit Abstand der erwachsenste Charakter des Films.