Berlinale Filmkritik: „Love is Strange“ von Ira Sachs


love ist strange

Ben und George leben bereits seit 39 Jahre zusammen und sind nun endlich verheiratet. Foto: Berlinale

Ben und George sind ein schwules, bürgerliches Intellektuellenpärchen. Wobei ersteres Adjektiv ein wenig irrelevant anmutet. Die beiden könnten auch Tom und Adele heißen. Oder Bridget und Catherine. Die Ausgangssituation und im Grunde erste Beschreibung des Lebensumfeldes ist das eigentlich Charakterisierende: Die teuren Betttücher, die gerahmten Bilder, die exquisite Einrichtung schreien Wohlstand. Das Herumwuseln der russischen Reinigungsfachkraft sagt: Ja, beklagen können wir uns eigentlich nicht. Dank der neuen Gesetzgebung in New York kann das Paar, das bereits 39 Jahre miteinander zusammenlebt, dann nun endlich die währende Zuneigung auch urkundlich besiegeln.

Die Trauung findet im Kreise der gerührten Verwandten und Freunde statt, im Anschluss gibt’s gemeinsames Klavierspiel, Liebesbezeugungen, Tränen und dann noch zwei Tränen. Das böse Erwachen trägt Talar: George wird nach Jahren des aufopferungsvollen Musikunterrichts an einer katholischen Schule mit sofortiger Wirkung gefeuert – obgleich der Pfarrer immer um das Liebesleben seines Angestellten wusste. Doch was im Stillen ging, geht öffentlich und gesetzlich verbrieft nun nicht mehr und Georges Privatleben ist plötzlich ein Vergehen, eine Provokation. George ist also arbeitslos und Ben sowieso schon länger Hobbymaler und Pensionär. Die Folge: Das teure Apartment muss von Jetzt auf Gleich verkauft werden und die beiden müssen – voneinander getrennt – für den Übergang zu schon erwähnten gerührten Verwandten und Freunden ziehen, was sich dann als ziemlich anstrengend erweist. Bitte was?

Hier beginnt „Love is Strange“ von Ira Sachs (USA 2014) aus dem Ruder zu mäandern. Wie konnten sich die beiden das Apartment überhaupt leisten, wenn nicht mal eine kurze, arbeitslose Wohnungssuche möglich ist? Warum mietet sich das Paar nicht irgendwo übergangsweise ein? Stattdessen folgt, was folgen muss, wenn ein 72-Jähriger plötzlich mit dem Sohn des Neffen ein Stockbett teilen muss: Verstimmung. Und dann noch mehr Verstimmung, weil sich die Protagonisten aus unerfindlichen Gründen immer zur gleichen Zeit in denselben Räumen aufhalten und sich deshalb beim Arbeiten oder bei der Ruhefindung stören. Überraschung! Es ist nicht wirklich ersichtlich, was Ira Sachs mit dieser zeitgenössischen, unlogisch konstruierten Generationenhaus-Erzählung sagen möchte.

Dass Zusammenleben schwierig ist und Kompromisse bedeutet, ist schließlich kaum eine neue Erkenntnis. Auch darüber hinaus bringt die neue Wohnsituation keine lang gehegten Animositäten, etwaige homophobe Tendenzen oder andere verborgene Krisen zu Tage, die dem Narrativ einen Spannungsbogen bescheren würden. Das heterosexuelle Beziehungsgefüge des Neffen bleibt verlogen und die Beziehung zwischen Ben und George schrecklich bieder.

Besonders enttäuschend: Alfred Molina und John Lithgow spielen das alternde Pärchen mit eingerostetem Lächeln, als sei ihnen das Wort Leidenschaft oder Innigkeit noch nie über die staubigen Lippen gegangen. Ihre Küsse wirken verschämt, nicht vertraut. Eine andere Chemie hätte dem Film vielleicht eine andere Dringlichkeit injiziert. So aber ist „Love is Strange“ nur eine lethargische, betuliche Familienstory geworden. Doch vielleicht ist ja genau diese Betonung der fehlenden Sinnlichkeit und Leidenschaftlichkeit die eigentliche Botschaft: Alle Beziehungsformen können langweilig und unspektakulär sein. Aber ist das wirklich eine interessante These, wenn man am Ende des Films eingeschlafen ist?

Marie Ketzscher