„Dark Horse“ von Todd Solondz


Die Lieblosigkeit ist der perfekte Nährboden für Abes charakterliche Defizite. Foto: Jojo Whilden

Das lieblose Miteinander der Eltern ist der perfekte Nährboden für Abes charakterliche Defizite. Foto: Jojo Whilden

Die Unerträglichkeit des Daseins

Der Mittelstand kann ganz schön hässlich sein. Abe (Jordan Gelber) ist das beste Beispiel dafür. Mit Mitte 30 lebt Abe – übergewichtig, gehässig, nicht sonderlich intelligent – noch bei seinen Eltern, deren Leben er in eine beständige Hölle verwandelt hat. In Todd Solondz’ „Dark Horse“ (USA, 2011) begreift Abe jedoch langsam, dass es auch für Loser wie ihn die Erwartungshaltung einer gewissen sozialen Entwicklung gibt – selbst wenn er für immer in seinem Kinderzimmer, das er sich mit Toys „R“ Us-Sammelfiguren und Comicheften zugekleistert hat, sitzen bleibt. Also beschließt er Miranda (Selma Blair) zu ehelichen, obwohl er sie erst Tage vorher bei einer fürchterlichen Bar Mitzvah kennen gelernt hat. Nicht die einfachste Aufgabe: Miranda hasst ihn. Doch zu Abes großem Glück hasst sich Miranda selbst noch ein bisschen mehr und sagt ja. Dann geht alles bergab.

Die Unerträglichkeit des Daseins führt Solondz nachdrücklich vor: der sterile Ehealltag der Eltern, deren liebloses Miteinander den perfekten Nährboden für Abes charakterlichen Defizite darstellt oder das unkreative Büroleben (Abe arbeitet in der Firma seines Vaters), das eher Gefängnis als Arbeitsplatz ist. Dazwischen immer wieder die traurigen Stationen, die Abes Leben strukturieren: Das eigene, riesige Auto, in dem er regelmäßig Burger in sich hineinstopft oder der Toys „R“ Us-Laden, in dem es zumindest Sekunden des Glücks zu kaufen gibt. Dazu dann passende, grelle Farbtöne. Und trotz der gewollten Überzeichnung bleibt das Gesehene seltsam unentschieden. Ist das alles nun eine bitterböse Satire oder eine besonders bissige Komödie? Man kann sich nie sicher sein, denn die Lacher sitzen spärlich in „Dark Horse„, bei dem es sich – laut Kritikern – um Solondz bisher handzahmstem Streich handelt. Auch in Sachen Empathie kann Dark Horse nicht punkten: Abe ist keine Vorlage zur kritischen Selbsthinterfragung, eigentlich gönnt man ihm seinen Ruin geradezu.

Ein Ekel zum Ekeln, der einen emotional ziemlich kalt lässt. Es bleiben ein paar starke Momente dazwischen. Zum Beispiel, wenn Miranda Abe auseinandersetzt, warum sie ihn heiraten möchte – da werden aufs Herrlichste unreflektierte Geschlechterrollen thematisiert: „Ich habe eingesehen, dass ich alle literarische Ambitionen und meine Illusionen weiblicher Unabhängigkeit an den Nagel hängen und Mutter und Ehefrau werden muss.“ Aber kaum hat Miranda die wunderbar wunden Worte formuliert, da macht sich Abe schon wieder daran, seine Umgebung zu drangsalieren. Und man hasst ihn, aber irgendwie ist es einem auch egal.

Marie Ketzscher