ETERNAL YOU – VOM ENDE DER ENDLICHKEIT von Hans Block und Moritz Riesewick
Wenn die KI den Tod überflüssig machen möchte
Wie spielen Technologie und Einsamkeit im Zeitalter von Marketingjobs und Apple-Ästhetik zusammen? Dieser Frage spürte Spike Jonze auf grandiose Weise in seinem Film HER von 2013 nach. Darin verliebt sich ein knuddeliger Joaquin Phoenix in eine künstliche Intelligenz namens Samantha, flirty eingesprochen von Scarlett Johansson. Trotz warnender Untertöne war das Ergebnis keine Dystopie. Jonze ging es auch um die menschliche Gabe, unsere Liebe zu entgrenzen und auf praktisch alles zu lenken, das uns berührt, sogar auf Bits und Bytes. HER zeigt uns künstliche Intelligenz in der Version, die uns enorme Marketingapparate eintrichtern wollen. Aber eher noch ist Samantha das, was wir uns trotz besseren Wissens vorstellen, wenn wir die Augen schließen und an Fortschritt und künstliche Intelligenz denken: Eine prinzipiell wohlwollende, ausgereifte Persönlichkeit, ein besseres Ich, das irgendwie in einem Computer lebt.
Und wenn wir die Augen aufmachen und hinschauen? Genau das machen Hans Block und Moritz Riesewick in ihrem Dokumentarfilm ETERNAL YOU – VOM ENDE DER ENDLICHKEIT. Sie versenken sich in einen Zweig des großen KI-Geschäfts und lenken den Blick auf digitale Versionen von Verstorbenen, mit denen die Hinterbliebenen praktisch frei kommunizieren können. Block und Riesewick begleiten Joshua, der seiner verstorbenen Verlobten nachtrauert. Sie schauen Christi beim Tippen über die Schulter, wenn sie fragt, ob ihr Partner im Himmel ist. Und dann ist da Yang, die sich bei ihrer Tochter entschuldigen möchte.
Die meisten der Produkte des sogenannten Digital Afterlife Business (zu Deutsch etwa: Industrie für digitales Nachleben) sind bislang lediglich Text-Schnittstellen. Möglich ist aber wesentlich mehr. So wird Yang von einem Produzenten dazu eingeladen, Fotos, Videos und Texte für einen Avatar ihrer Tochter in der virtuellen Realität herzugeben. Wie sich Mutter mit VR-Brille und das digitale Abbild ihrer Tochter in der VR zum ersten Mal begegnen, wird von Kameras aufgezeichnet und als eine Art Reality-Show im koreanischen Fernsehen ausgestrahlt – mit allen Tränen, Schluchzern und flehenden Rufen der Mutter, die Tochter möge sie einmal umarmen.
Soul Machines, Project December, Yuv – die Unternehmen versprechen Unsterblichkeit und finden Trauer furchtbar altmodisch. Dass ihre Produkte intimste Empfindungen kommerzialisieren und abhängig machen können? Geschenkt. Open AI-Gründer Sam Altman wollte seine neue Chat GPT-Version jüngst mit der Stimme von Scarlett Johansson in eine Samantha verwandeln. Nachdem Johansson ihm eine Absage erteilte, nutzte er ihre Stimme leicht abgewandelt einfach trotzdem.
Das Geschäftsfeld ist entsprechend mit moralischen Fragen vermint. Wie können wir maschinelles Bewusstsein erschaffen, wenn wir nicht wissen, wie unser eigenes funktioniert? Hätten die Verstorbenen das überhaupt gewollt? Ist die Technologie ausgereift genug? Und wem gehören die Daten? Immer wieder kommen die Macher hinter der Technologie an einen Punkt, an dem ihre Beschreibungen ins Mystische abrutschen. Wie genau die Geister, die sie dort rufen, eigentlich ticken, wissen selbst die Entwickler nicht zu 100 Prozent. Als Christi die KI-Version ihres Partners fragt, ob er im Himmel wäre, antwortet die KI, dass sie nicht im Himmel ist, sondern umgeben von Junkies. Sie sei in der Hölle, schreibt die Maschine schließlich und versetzt Christi einen Schock.
Die Doku profitiert stark von der Tatsache, dass sie auf dem Buch VOM ENDE DER ENDLICHKEIT von 2022 basiert, ebenfalls von Block und Riesewick. Der Dokumentarfilm zum Buch ist stimmig und ausbalanciert. Als Autoren und Regisseure nehmen sie sich die Zeit für die emotionalen, technischen und ethischen Aspekte ihres Themas. Entwickler, Unternehmer, die Produkte, Forscher und Endkonsumenten kommen zu Wort. Beim schaudernden Staunen über diese neuen Maschinen verblasst ein wenig, dass es um Trauer und Unsterblichkeit geht. Was dem Film allerdings gut tut. An der Nischenanwendung können die beiden Regisseure dank ihrer stupenden Recherche durchspielen, wie uns KI in Zukunft emotional ansprechen und sehr wahrscheinlich durchdringen wird. Der Mensch als fehlerhaftes Wesen, das nach seiner Vervollständigung sucht und sie nicht zum ersten Mal im Fortschritt zu finden hofft – genau die Hoffnung öffnet KI wie keiner Technologie zuvor eine weite Tür in unser intimstes Gefühlsleben.
ETERNAL YOU greift da zu kurz, wo Block und Riesewick der Logik aktueller Technologiedebatten folgen. Die tendieren dazu, dem User die Selbstbestimmung abzusprechen und uns als mehr oder minder passiv und hilflos darzustellen. Unsere Kompetenz im Umgang mit Smartphones, Social Media und nun eben KI, und die in den meisten Fällen ganz bewusste und gewollte Suspension of Disbelief, diese mediale Mündigkeit wird auch hier vernachlässigt.
Joshua und Christi sind zwar von der Akkuratesse der KI-Produkte überrascht und vergießen echte menschliche Tränen. Sie wissen aber sehr genau, was sie tun, wenn sie mit den digitalen Modellen ihrer Partner sprechen. Den Unterschied sieht man im Fall der medialen Ausbeutung der trauernden Yang, die die Grenze zwischen Realität und Simulation nicht klar ziehen kann. Anstelle einer Reality-Show wäre hier therapeutische Hilfe geboten. Aber uns kollektiv einer übermächtigen Technologie auszuliefern, wenn auch nur diskursiv, beraubt uns der Mittel, dieses Werkzeug und seinen Einsatz aktiv mitzugestalten. Und über nichts würden sich die großen Firmen mehr freuen.