Fantasy Filmfest-Kritik: „Raze“ von Josh C. Waller


"Raze": Frauen prügeln sich in den Blutrausch. Foto: Alamode Film

"Raze": Frauen prügeln sich in den Blutrausch. Foto: Alamode Film

Sportlicher Widerwärtigkeitsfaktor

Schlammcatchen war gestern. In Josh C. Wallers „Raze“ (USA, 2013) tauschen die Kontrahentinnen Schlamm und Bikini-Nacktheit gegen Fitnesskleidung und Blut: Es wird geprügelt, es werden Arme ausgekugelt, Zähne ausgeschlagen, Haare ausgerissen, Augen eingedrückt. Und das alles zum Amüsement eines undefinierten, wohlhabenden Geheimbundes, der sich an den schwitzenden, ums Überleben ringenden und sterbenden Frauen via Liveschaltung erfreut. Doch nicht einmal das Sterben ist hier umsonst: Nur wenn man selbst nicht draufgeht, lebt auch ein ausgewählter, enger Angehöriger einen Tag länger. An eye for an eye und ein Büschel Hair-Extensions für eine Hand voll Silikon.

Doch der Geheimbund hat nicht mit Sabrina (mit der neuseeländischen Stuntfrau und „Death Proof„-Schauspielerin Zoë Bell passend besetzt) gerechnet. Sabrina ist eine von 50 Frauen, die entführt wurden, um als ungewöhnliches Entertainment zu bluten. Ihr Ansporn: Die eigene Tochter zu retten, die sie vor Jahren zur Adoption aufgegeben hat. Und Sabrina macht sich als Bühnenschauspiel – es gibt kaum eine Frau, die sich so in einen Blutrausch prügelt, außer vielleicht die soziopathische Phoebe (Rebecca Marshall), deren Mutter vom Geheimbund als Geisel gehalten wird. „I hate my mother,“ verrät Phoebe mit wahnsinnigem Blick einer anderen, während sie ihr das Genick bricht. Weibliche Solidarität: Völlige Fehlanzeige. Jede Kämpferin zerfleischt für sich allein. Nur mit der unschuldigen Cody und der toughen Teresa entspinnen sich Dialoge, entwickeln sich Sympathien. Beide müssen natürlich sterben, da am Schluss nur eine überleben kann und damit als Gewinnerin ihre Freiheit wieder erhält. Nämlich Sabrina. Oder?

Der Plot des Films ist mit Sabrinas Überlebenskampf klar definiert. Warum indes irgendwer mit Sabrina mitfiebern sollte, bleibt völlig nebulös, denn „Raze“ ist weder beängstigend oder eklig, noch gesellschaftskritisch oder trashig-komisch. Zwischen Einzelzellen, Fightszenen und vereinzelten Rückblenden entsteht kein fesselndes Narrativ und auch kein Absurditätsgewitter, das so viel Kunstblut rechtfertigen oder plausibel machen könnte. Die Charaktere werfen mit Plattitüden um sich, der Film durchläuft hanebüchene Wendungen und laviert sich schließlich lustlos blutend auf sein Ende zu.

Ein weiteres, großes Manko ist die wenig kaschierte Sinnlosigkeit der Leichenproduktion: Die Motivationen des Geheimbundes werden nicht weiter beleuchtet – die Organisation bleibt eine anonyme Tischgesellschaft, die mit Champagnergläsern in der Hand auf großen Flatscreens fasziniert und sprachlos fliegende Zähne und Spucke bewundert. Auch die Beweggründe des Geheimbund-Vorsitzenden (Doug Jones) werden nicht thematisiert. „You will be transformed. Here you will manifest all that you are. Find what’s worth fighting for“, faselt der zumindest reichlich unsympathische irre Joseph in einer Schlüsselszene. Überleben, um sich selbst zu finden, um dann wiederum später im Draußen der Realität eine starke, andere Frau zu sein? Mit dieser Logik würde nicht einmal ein Werbefilm der U.S. Army hausieren gehen.

Das alles wäre schon platt, konstruiert und unsympathisch genug, doch der Fokus des Films auf die Fights zwischen den sportlichen Darstellerinnen hinterlässt einen zutiefst schalen Beigeschmack, da der Zuschauer dazu angehalten wird, die Todeskämpfe der Frauen mit der gleichen Mischung aus Faszination und Geilheit  beizuwohnen wie die vermeintliche Elite. Sexismus paart sich hier also mit voyeuristischem Sadismus. Wenn man sich weigert mitzumachen, dann kann man „Raze“ nichts abgewinnen. Doch wer weiß: Vielleicht sehnt sich ein bisher bedeckt haltender Cineast nach einer todernsten Form des Schlammcatchens mit sportlichem Widerwärtigkeitsfaktor. In diesem Fall hätte „Raze“ wohl zumindest ein vereinzeltes, zufriedenes Publikum gefunden. Das wäre allerdings ganz schön traurig.

Marie Ketzscher