„Kriegerin“ von David Wnendt


Alina Levshin als Marissa in "Kriegerin"

Alina Levshin als Marissa in "Kriegerin"

Rechtsextremismus – Es gibt wohl wenig Themenkomplexe, die derart rabiat aufzeigen (müssen) wieviel Gesellschaft sich in einem Film befindet. Wie neurotisch ist diese Gesellschaft. Wie verarbeitet sie ihre Probleme. Was für Lösungsvorschläge bietet sie an. Rechtsextremismus – das ist das Karzinom europäischer (All)gemeinheit. Ein Karzinom, das man mit Heftpflastern und zärtlichem Hauchen  versucht beizukommen. Das letzte Vierteljahr zeigte außerdem wie es um die politische Konditionierung unseres Inlandsgeheimdienstes bestellt ist. Zwischen 2001 und 2011 wurden nach Paragraph 129a (Bildung einer terroristischen Vereinigung) 13 Verfahren gegen Rechtsextreme in Autrag gegeben, dagegen 262 gegen linke Gruppierungen. Auch was das Strafmaß angeht, sollte man durchaus besorgt sein. So wurde am 31.Januar 1997 der Vietnamese Phan Van T. von zwei Neonazis erschlagen. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder bescheinigte den Tätern zwar ein rassistisches Motiv, da diese während der Verhandlung mit Parolen wie „Fidschis raus aus Deutschland“ nicht geizten. Dennoch gelangte die 5.Strafkammer zu der Erkenntnis, dass ihre Tat „nicht von Ausländerfeindlichkeit getragen“ sei. So verbüßte der eine Täter neun Jahre wegen Totschlags und der andere eine einjährige Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung. Die Mehrheit der gewalttätigen Neonazis wohnt im Osten Deutschlands. Kleine Ortschaften, in denen man tankt, was isst, im schlimmsten Fall übernachtet und dann so schnell wie möglich wieder verschwindet. Es sind Ortschaften der Übriggebliebenen.

In so einer namenlosen Ortschaft setzt David WnendtsKriegerin“ ein und erzählt den Werdegang der zwei weiblichen Neonazis Marisa und Svenja. Der Prolog erörtet die innige Beziehung Marisas zu ihrem Großvater,doch bereits hier wird angedeutet, warum Marisa das wird, was sie nun einmal ist. So muss das kleine Mädchen Sandsäcke schleppen, um dem Opa die Tapferkeit zu beweisen. Landserromantik und Opas Rat „Lass dir keine Lügen erzählen“ werden durch einen harten Schnitt unterbrochen, wo die erwachsene Marisa Fahrgäste in einer Bahn maltretiert. Wieder harter Schnitt und eine „American History X„-artige Sexszene folgt. Danach Alltag. Marisas gebrochene, depressive Mutter steht in der Küche. Die große Stärke von David Wnendts Debut liegt darin, Neonazis nicht nur als böse darzustellen und als Produkt desaströser Wirtschaftspolitik zu begreifen. Seine Neonazis sind Zwangscharaktere, die ihrer Erziehung nur im Angesicht des Offensichtlichen (Marisas Bemühungen um den Migranten Rasul) ein Stück weit entrücken können. Das Wehleiden um die eigene Arbeitslosigkeit wird als Taschenspielertrick entlarvt. Auffallend ist ja, das alle Beteiligten einer Arbeit nachgehen. Es sind eben Jobs, die nicht besonders prestigeträchtig sind.

Ebenfalls beeindruckend ist Wnendts Gespür für die Landschaftsaufnahmen. Seine Landschaften sehen so aus, als ob sie lange Zeit keine Menschen mehr gesehen hätten: unberührt, urwüchsig, ja sogar Tschernobyl scheint um die Ecke zu liegen. Es sind nachmenschliche Langstriche. So kommen die Dargestellten nicht nur nicht in einer demokratischen Gesellschaft an, die eigene natürliche Umgebung, nennen wir es ruhig Heimat, scheint sie zu verstoßen. So sind die Neonazis selbst Migranten, die mit den eigentlichen Migranten um Aufmerksamkeit und Mitleid buhlen. Aus Angst verlieren zu können, machen sie diese zu ihren Opfern. Die Wahl des Mädchennamens Marisa scheint ein klassisch westdeutscher „Schönheitsfehler“ zu sein. Weibliche Neonazis heißen Nadine, Peggy, Sindy. Nur eine Peggy und eine Nadine werden sich nicht entwickeln. Die fahren zwei Asylbewerber an (hier heißen sie Jamil und Rasul), wie Marisa es im Fall ja tut und gehen nach den „üblichen“ Posttotschlagsdepressionen ihrem Tagesgeschäft nach. Zu gut deutsch: Saufen. Bei einer dieser Sauforgien geben sich die zwei Protagonistinnen den Staffelstab in die Hand. Während Marisa hier entgültig die Schnauze voll hat und beschließt, auf ihre Weise dem Ganzen ein Ende zu setzen, kommt Svenja erst richtig auf den Geschmack. Svenja wächst als Kind einer viel zu jungen Mutter und ihres sadistischen Freundes auf. Selbst die kleinsten Verfehlungen werden drakonisch geahndet. Ab einem gewissen Punkt ist das Maß voll und die rechte Szene verspricht, so grotesk das auch klingen mag, Freiheit und Selbstverwirklichung.  —-Achtung Spoiler —- Enden tut alles dort wo es begann – an der Ostseeküste. Marisa schafft es Rasul zu helfen und stirbt dafür. Als Svenja über ihrem Leichnam kniet, wird der Zuschauer im Unklaren gelassen, ob sie etwas daraus gelernt hat oder nicht. Aber etwas Hoffnung besteht. Schließlich heißt sie ja nicht Peggy.

Joris J.

Kriegerin„, Regie: David Wnendt, Hauptdarsteller: Lukas Steltner, Gerdy Zint, Jella Haase, Alina Levshin, Winnie Böwe, Uwe Preuss, Kinostart: 19. Januar 2012