Filmtipp: Lars von Triers „Melancholia“
Apokalypse von Trier
Strahlend schön und ausgelassen erreichen Justine (Kirsten Dunst) und ihr Mann (Alexander Skarsgard) zu spät die eigene Hochzeitsfeier auf dem prächtigen Gut ihres Schwagers John (Kiefer Sutherland). Genau wie seine Frau Claire (Charlotte Gainsbourg) und all die anderen Gäste wartet er ungeduldig auf das Brautpaar. Keiner der Anwesenden wirkt überrascht ob der Verspätung der sonderbaren Justine, die früher häufig das Problemkind der Familie gab. Wie es das Schicksal – und Regisseur Lars von Trier – will, ist dieser potentiell schönste Tag des Lebens nur die Exposition für das Ende alles Irdischen.
Der Braut gelingt es in nur einem Abend, alles gemeinhin als Glück empfundene aufs Spiel zu setzen und bis zum Ruin zu verlieren. Statt sich von ihrer Gesellschaft feiern zu lassen, zieht sich Justine zurück, statt sich ihrer Beförderung zu erfreuen, beleidigt und verprellt sie ihren Boss aufs Übelste. Auch die peinlichen Auftritte ihrer vom Leben frustrierten Eltern Gaby (Charlotte Rampling) und Dexter (John Hurt) bringen sie weit weniger aus der Balance als John und Claire, die alles versuchen um Justine einen unvergesslichen Moment zu schenken. Diese dankt es nicht im Geringsten und verprellt auch noch ihren Mann, den sie flüchtig betrügt und spüren lässt, dass die Zukunft, die er sich ausgemalt hat, ein jähes Ende finden wird. Wie einer Verheißung folgend, treibt sie ihrem erlösenden Ende entgegen, für welches sie schon lange Zeit bereit ist.
Ganz im Gegensatz zu ihrer Schwester Claire, die als Vernünftige der beiden alles im Blick haben will und mit dem irdischen zu Recht kommt. An der Seite ihres starken Mannes John und als verantwortungsvolle Mutter stemmt sie sich vehement gegen das so irrationale Ende von all dem, das sie umgibt. Die Katastrophe, des sich der Erde zerstörerisch nähernden Planeten vor Augen, wehrt sie sich nach Kräften, ehe sie letztendlich erkennen muss, dass ihre kleine Schwester Justine mit der unfassbaren Situation umzugehen weiß und sich ihre eingespielten Rollen vor dem gemeinsamen Ende umkehren müssen.
Lars von Trier, der während der Pressekonferenz zur Premiere in Cannes mit seinem abstrusen Auftritt vortrefflich von seinem Endzeit-Drama ablenkte, hat ein ein Meisterwerk geschaffen. Wieder einmal. Der depressive Däne erschafft mit „Melancholia“ einen „schönen Film über das Ende der Welt„, wie er sagt und trifft mit diesen naiv anmutenden Worten den Nagel auf den Kopf. Seine wundervoll stilisierten Bilder des Endes kommen ohne Massenpaniken und Hysterie aus. Stattdessen zeigen sie eine Spezies, die sich fatalistisch ergibt und das Unausweichliche geschehen lässt, während sich die Erde zu Wagners „Tristan & Isolde“ in ein zutiefst bewegendes Nichts verwandelt. Großartiges Kino mit fantastischen Schauspielern, angeleitet von einem visionären Regisseur. Ein Erlebnis.
Denis Demmerle
„Melancholia„; Regie: Lars von Trier, 136 Minuten, DEN, SWE, FRA, D 2011; Darsteller: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, Charlotte Rampling