Roland Emmerichs „Anonymus“



Ob Shakespeare seine Dramen selbst verfasst hat, wird seit Jahrhunderten diskutiert. Die ungeklärte Frage nutzt der deutsche Hollywood-Regisseur als Aufhänger für einen opulent inszenierten Verschwörungs-Thriller.

„War Shakespeare ein Betrüger?“ fragt das Plakat des neuen Films von Roland Emmerich. Der Katastrophenfilm-Regisseur, der als einer von wenigen Deutschen in Hollywood die Puppen tanzen lässt, geht dieser Frage in „Anonymus“ nur am Rande nach: Das Sein-oder-nicht-Sein des bedeutendsten Dramatikers der Literaturgeschichte spielt nur eine Nebenrolle.

Das Jahrhunderte alte Rätselraten, ob Shakespeare seine Stücke selbst geschrieben hat, dient Emmerich als Aufhänger für sein prächtig ausgestattetes Historien-Drama, das als Verschwörungs-Thriller kostümiert ist. Im Mittelpunkt der verwickelten Handlung steht ein anderer Protagonist: Edward de Vere, 17. Earl of Oxford.

Jenen Edward de Vere (Rhys Ifans) vermutet Emmerich in Anlehnung an Kurt Kreilers Buch „Der Mann, der Shakespeare erfand: Edward de Vere“ hinter dem Theater-Genie. Ihn rückt der Film ins Zentrum der Intrigen und Manipulationen am Hof von Elisabeth I. (jung: Joely Richardson, alt: Vanessa Redgrave). Dahinter stecken vor allem der Berater der Queen, William Cecil (David Thewlis), und dessen Sohn Robert Cecil (Edward Hogg).

Das Ränkespiel seiner Akteure ist gleichermaßen Fluch und Segen der opulent inszenierten Handlung. In der ersten Hälfte mutet Emmerich dem Zuschauer einiges zu und verwirrt ihn mit einem kaum überschaubaren Beziehungsgeflecht rund um den britischen Hof. Dieser Ringelreigen der Ranküne droht zu überfordern.

Da sticht William Shakespeare (Rafe Spell) fast schon erholsam aus dem Gewusel der Figuren heraus. Die Nebenrolle ist klar umrissen: ein recht einfach gestrickter Bursche aus der Arbeiterschaft, der praktisch als Sidekick fungiert. Emmerich stellt den Weltmeister der Wortspiele und vieldeutigen Bühnen-Dialoge als ungehobelten Klotz dar, der seinen Erfolg, der ihm in den Schoß fällt, in vollen Zügen genießt, wenn ihn sein Publikum frenetisch für fremde Stücke feiert – oder sich der Lebemann Shakespeare den Frauen und dem Alkohol hingibt.

Kein Wunder, dass sich der wahre Theater-Autor de Vere in Emmerichs Lesart viel lieber den tiefsinnigen Feingeist Ben Jonson (Sebastian Armesto) als Strohmann gewünscht hätte. Für den hielt jedoch das Schicksal nur die Rolle des mehr und mehr frustrierten Neiders bereit. Jonson erreicht nie die fatale Tragik eines de Vere, der die Macht seiner Worte und Stücke voller Hybris überschätzt, womit er sein Lebenswerk aufs Spiel setzt.

Anstatt bildgewaltig den Shakespeare-Mythos zu überprüfen, knöpft sich der Regisseur eine Lichtgestalt der europäischen Literaturgeschichte vor. Zwar zerstört er sie nicht, doch mit der beiläufigen Art, in der Emmerich Shakespeare behandelt, stellt er auch dessen Bedeutung infrage – und das sehr ruppig.

Dennoch zeichnet der Film – das ist seine große Stärke – ein spannendes Sittenbild der herrschenden Klasse im elisabethanischen England. In dessen Mittelpunkt steht mit de Vere ein verkanntes Genie, das letztlich scheitert. Ob er wirklich Shakespeare seine Stücke auf den Leib geschrieben hat, bleibt offen. Die belegbaren Fakten lassen einen Spielraum für Interpretationen, den Emmerich mit „Anonymus“ zu einer denkbaren These verdichtet – mehr aber auch nicht.

Titel: Anonymus
130 Min; GB/D; 2011
Regie: Roland Emmerich
Hauptdarsteller: Rhys Ifans, David Thewlis, Vanessa Redgrave, Derek Jacobi, Joely Richardson, Jamie Campbell Bower, Xavier Samuel