Filmtipp: Steven Soderberghs „Contagion“


Filmszene: "Contagion"

Filmszene: "Contagion"

Katastrophenfilm ohne Action

Regisseur Steven Soderbergh inszeniert eine rasend schnell die Welt umspannende Krankheit, eine Pandemie, eine Seuche (engl.: „Contagion“), die weder vor Grenzen noch Kulturen halt macht. Parallelen zu Schweine- oder Vogelgrippe drängen sich auf. Der unkontrollierbare, als Teil des modernen Lebens verstandene und so gelebte internationale Jetset birgt gewisse Risiken und Nebenwirkungen, vor denen keine Packungsbeilage warnt. Die Fluggäste tragen innerhalb weniger Stunden einen fiesen Virus von A nach B, vom Luxus-Restaurant in Hongkong an die Haltestange der U-Bahn, bis zur Türklinke des unbescholtenen Vorstädters. Schutz gibt es für niemand, eine Heilung ist erst möglich, wenn der Erreger identifiziert ist. Soderbergh widmet seinem Katastrophenfilm diese Angst vor dem Unkontrollierbaren. Ohne zum Actionfilm zu verkommen, in dem ein strahlender Held den Kampf aufnimmt und nach vielen Opfern gewinnt, die Welt oder wenigstens seine Frau rettet, lässt er seine beinahe wie im Dokumentarfilm beobachtende Kamera durch die Metropolen der Welt eilen. Akribisch reiht er in klinisch-kühlen Bildern die Gefahren der Ansteckung flink montiert aneinander. Perfide schreien einen seine Bilder an: Diese Gefahr lauert überall.

Dies bekommt, kaum den Kinosessel angewärmt, schon der erste Superstar eines opulenten Ensembles zu spüren: Eben noch mit namenlosen Geschäftspartner strahlend im Hongkonger Edelrestaurant am schäkern, kehrt Beth (Gwyneth Paltrow) nach einem kurzen, außerplanmäßigen Abstecher nach Chicago, wieder zurück nach Hause zu ihrem Mann Mitch (Matt Damon) und ihrer Familie. Kurz darauf plagt sie eine merkwürdige Krankheit und nur einen gefühlten Wimpernschlag später verstirbt sie – genau wie ihr kleiner Sohn. Unvermittelt ist die kleine Familie zerstört. Noch während Mitch sich sortiert und beschließt seine Tochter Jory und sich von der Außenwelt abzuschotten, sägen die alarmierten Ärzte Beth den Kopf auf, klappen die Schädeldecke der eben noch bezaubernden Paltrow vorne über und machen sich auf die Suche nach des Übels Ursprung. Es gilt, Patient Null zu finden. Ein Schock der sitzt und den Zuschauer tief in Soderberghs Katastrophe hineinsaugt – und schwer beunruhigt. Ganz sicher denkt der ein oder andere in den folgenden Tagen an die Szenen aus „Contagion„, ehe er lustvoll in die Nüsschen auf der Theke greift oder flüchtige Bekannte umarmt.

Obwohl Soderbergh viele Fallen auslässt und seine Protagonisten mit nur allzu menschlichen Schwächen versieht, etwa den US-Seuchenexperten Dr. Elis Carver (Laurence Fishburn) gegen jede professionelle Vernunft seine Lieben warnen lässt oder sich die pubertierende Jory trotz der Gefahren nach ihrem Liebsten verzehrt, kommt auch Soderberg nicht ohne Massenpanik und Anarchie aus. Vielleicht, weil auch das Teil des menschlichen Wesens ist. Aber gerade sein die Katastrophe ahnender Blogger Alan Krumwiede (Jude Law) gerät arg klischeebeladen und erinnert an archetypische Vorstellungen des Berufsstandes im letzten Jahrtausend.

In eben jenen Jahren vor Ende des letzten Jahrtausends erschuf Soderbergh, ohne im allzu garstig begegnen zu wollen, auch seine letzten Meisterwerke. Im Vergleich zu Großtaten wie seinem in Cannes und Sundance ausgezeichneten DebütSex, Lügen und Video“ (1989) dem ausnahmslos großartig geratenen „Out Of Sight“ (1998), „The Limey“ (1999), „Traffic“ (2000), „Erin Brockovich“ (2000; Oscar 2001) oder „Oceans Eleven“ (2001) fällt „Contagion“ deutlich ab. Zwar besticht auch der Seuchenfilm mit fantastischer Kamera, aber die Liebe zu seinen Figuren scheint dem Regisseur abhanden gekommen. Beinahe achtlos führt er diese ein und lässt sie wieder abtreten. Vielleicht hat er mit seiner angedachten beruflichen Auszeit nicht Unrecht, wobei zu wünschen bleibt, dass diese nicht endgültig gerät. Mit solchem netten Durchschnitt sollte ein Meister wie Soderbergh nicht abtreten.

Denis Demmerle

Contagion Regie: Steven Soderbergh, 106 min, USA; 2011; Darsteller: Matt Damon, Jude Law, Laurence Fishburn, Gwyneth Paltrow; Kinostart: 20. Oktober 2011