„Gravity“ von Alfonso Cuarón
2013: Space Odyssee reloaded
„Explorer, hier ist Houston. Mission abbrechen! Ich wiederhole: Mission abbrechen!“ Doch zu spät. Noch bevor Dr. Ryan Stone (Sandra Bullock) und Kollege Matt Kowalski (George Clooney) wissen, wie ihnen geschieht, treiben sie losgelöst vom Shuttle schwerelos durchs All. Ein Schwarm außer Kontrolle geratener Satellitentrümmer hatte die Astronauten während einiger Außenreparaturmaßnahmen überrascht, das Shuttle durch die Wucht des Zusammenpralls zerstört und beide Überlebenden in den Orbit katapultiert – verloren in der schwarzen Unendlichkeit, die keinen Anfang und kein Ende kennt. Es gibt wohl kaum eine Furcht einflößendere Vorstellung. Was für ein Scheißtag für Ingenieurin Stone.
Von Anfang an hatte sie ein schlechtes Gefühl hinsichtlich ihrer ersten Mission. Doch traumatisiert durch den Verlust ihres Kindes, und die unendliche Weite suchend, um ihrem Schmerz zu entkommen, hatte sie sich dennoch auf die Mission gewagt, die Risiken gern in Kauf genommen und sich in die Schwerelosigkeit geflüchtet. Den Boden unter den Füßen hatte sie ohnehin längst nicht mehr. Und nun driftet Stone, die allein durch ihren Namen der Schwerelosigkeit etwas entgegensetzt, in unzähligen Loopings und im freien Fall, ohne ausreichende Sauerstoffvorrat und Kontakt zur Bodenstation oder Kollegen Kowalski, durch Zeit und Raum. Einzige Hoffnung – ein letzter sich aufbäumender Lebenswille eines eben noch lebensmüden Geistes – ist es, sich noch weiter in die dunklen Tiefen vorzuarbeiten, um die nächste Raumstation irgendwie zu erreichen.
Das All ist hier eine perfekte Metapher für die absolute Isolation, das Trauma einer Mutter, die ins Nichts geschleudert vom Leben abdriftet, allmählich versucht, wieder einen Anker zu finden und sich aufzurichten. Sieben Jahre dauerte die Fertigstellung des Filmes, brauchten Vater Alfonso Cuarón („Children of Men„) und Sohn Jonás Cuarón vom Script bis zur Postproduktion. Das Projekt entstand als Vater und Sohn den Verlust eines Filmes hinnehmen mussten, dessen Finanzierung nach der Wirtschaftskrise in sich zusammenbrach. Jonás hatte jedoch bereits ein interessantes Drehbuch für ein eigenes Werk, das er mit seinem Vater kurze Zeit später besprach, der widerrum daraus Inspirationen für „Gravity“ gemeinsam mit seinem Sohn entwickelte.
Doch die technische Umsetzung, besonders der Schwerelosigkeit, war die größte Herausforderung. Es dauerte fast viereinhalb Jahre bis sie auf angemessene Technik zurückgreifen konnten. Größte Schwierigkeit, so Clooney auf der Pressekonferenz in Venedig, wo der Film die diesjährigen Festspiele eröffente, sei die Verbindung aus schnellen Dialogen bzw. der normalen Sprechgeschwindigkeit und den ultralangsamen und choreographierten Bewegungen gewesen. Das, so Bullock weiter, erforderte ein hohes Maß an Konzentration und Training, damit schließlich jede Bewegung so routiniert war, dass man sich wieder auf die Emotionen konzentrieren konnte, um die Illusion nicht zu zerstören. Schließlich drehten sie entweder an langen Seilen hängend in einem Studio oder in einer kleinen Box, in der sie von Robotern gehalten wurde, ebenfalls einer Choreographie von Bewegungsmarkierungen folgend. Entstanden ist ein herausragender Mix aus Kammerspiel und Actionkino, den Sandra Bullock zu fast neunzig Prozent allein stemmt.
Die Illusion ist perfekt. 91 Filmminuten schleudern auch den Zuschauer in ein orbitales Nirwana, das nicht zuletzt durch die 3D-Technik fantastisch unterstützt wird. Nirgends lohnt sich 3D–Animation mehr als für die Inszenierung der unendlichen Tiefen des Alls.
SuT
„Gravity„ Regie: Alfonso Cuarón, Drehbuch: Carlos Cuarón, Alfonso Cuarón, Darsteller: George Clooney, Sandra Bullock, Kinostart 3. Oktober 2013