„Guilty of Romance“ von Sion Sono
Etikette und perverse Abgründe
Selten, das kann man guten Gewissens behaupten, kommt innerhalb von 144 Minuten Filmlänge so wenig Langeweile auf wie in Sion Sonos „Guilty of Romance„. Dieser Mann wartet nicht nur mit dem auf, was man von avanciertem japanischem Gegenwartskino erwartet – also bizarrem Humor, be- und entschleunigten Kamerafahrten und Schnittfolgen, hervorragend choreografierten Rundflügen durch den menschlichen Abgrund und selbstredend krassen Stilbrüchen. Nein, auch dieses Mal belässt Sono es nicht dabei und ziseliert innerhalb des ersten Fünftels eine japanische Durchschnittsehe mit all ihrer Routine. Jedoch interessiert Sono nicht so sehr das Milieu, als vielmehr die Möglichkeit, diese Abfolge abnormaler Selbstverständlichkeiten als Brutstätte mörderischer, selbstzerstörerischer Anrufungen und dramatischer innerer Leere hervorzuheben. Vielleicht scheint es zunächst nur eine Angelegenheit der Nomenklatur, ob man zweierlei Verdrängungen unterscheiden oder lieber von verschiedenen Abwehrformen sprechen will, deren die harmloseste noch die Verdrängung ist. So liegt manchmal das Wesentliche in der Sequentialität der Ereignisse, manchmal in der Erfassung der Objektwelt. Die so aufgebaute Atmosphäre durchdringt die Biografien der Polizistin Kazuko (Miki Mizuno), der Schriftstellergattin Izumi (Megumi Kagurazaka) und der Literaturprofessorin Mitsuko (Makoto Togashi). All diese Frauen führen ein Doppelleben.
So betrügt Kazuko regelmäßig ihren Ehemann. Mitsuko arbeitet als Prostituierte und Izumi arbeitet erst als Würstchenverkäuferin, dann als Pornodarstellerin, dann als Nutte und schließlich macht sie alles zusammen. Diese seltsame Mischung aus Entsetzen, Neugierde und Sehnsucht, wenn wir von Menschen erfahren, die neben ihrem „offiziellen“ Leben noch ein zweites führen, macht einen wesentlichen Teil der narrativen Spannung aus. Freilich ist es hier maßlos überzogen – gewaltig, tiefrot und ätzend violett. Darüber hinaus ist der kafkaeske Umgang mit Langeweile nicht zu verachten. Die Langeweile, dieses Unlustgefühl aus dem Widerstreit zwischen dem Bedürfnis intensiver psychischer Betätigung und der Unfähigkeit, sich anregen zu lassen, führt zu Orten und Situationen, an dem die Ratio sehr schnell die weiße Fahne hisst. Natürlich geht es auch um Körperlichkeit. Mitsuko versucht Izumi andauernd zu vermitteln, dass ihre Worte nicht zum Körper passen. Wenn also küchenpsychologisch in einem gesunden Körper ein gesunder Geist wohnt, dann wohnt ein sich nach Liebe verzerrender Geist also in was für einem Körper? Ganz genau.
Klar, das klingt bescheuert, aber Mitsukos Kalkül scheint erst einmal aufzugehen. Aber dieses Mal haben alle den Faktor Mann ein wenig unterschätzt. Kazukos Ehemann ist ein renommierter Schriftsteller. Stocksteif, konservativ und in seiner Ehefrau scheint er in erster Linie eine Art Mutterersatz zu sehen, mit der man hin und wieder mal schläft. Dass er unter Schreibblockaden leidet, entgeht Kazuko völlig. Dass er dann das tut, was man Schriftstellern nachsagt, was sie dann tun, natürlich auch. So leben in „Guilty of Romance“ alle aneinander vorbei. Das Miteinander ist aufgelöst. Nur die Etikette und perverse Abgründe bleiben. Ein jeder ist in diesem Film mal der Hund und mal der Baum. Die im asiatischen Kino wohlbekannte Idee der Rache (hier gepaart mit sexueller Frustration, Langeweile und Sehnsucht) funktioniert wieder einmal als Minimalform der Psychologie. Rache ist zeitlos. Sie ist das alte, neue Schwarz.
Joris J.
„Guilty of Romance„: Regie/Drehbuch: Sion Sono, Darsteller: Kanji Tsuda, Megumi Kagurazaka, Miki Mizuno, Makoto Togashi, Ryuju Kobayashi, Kinostart: 19. Juli