„I hate myself :)“ von Joanna Arnow


Filmemacherin Joanna Arnow filmt die Beziehung zu ihrem Freund James Kepple. Foto: Unknown Pleasures

Filmemacherin Joanna Arnow filmt die Beziehung zu ihrem Freund James Kepple. Foto: Unknown Pleasures

Mehr Abenteuer, mehr Selbstbewusstsein

Wenn die Kamera entblößt, wie verletzend Menschen zueinander sein können, dann schmerzt dies beim Zugucken. Der Dokumentarfilm „I hate myself “ von Joanna Arnow ist voll von solchen Momenten. Arnow filmt ihre Beziehung zum Künstler James Kepple schonungslos. Meistens mit wackeliger Handkamera, zeigt sie entwaffnend ehrlich, wie sehr sich das Paar am Limit bewegt.

Kepple ist ein selbsternannter Künstler, mal singend, mal Pamphlete rufend auf amateurhafter Bühne in Harlem. Kepple nutzt die Kamera als zweite Bühne um sich selbst darzustellen und offenbart so, wie wenig ihm an seiner Freundin liegt. Mal beleidigt er sie, mal ignoriert er sie. Immer wieder drängt sich die Frage auf, warum sie sich das antut und diese ungesunde Beziehung auch noch in einem Film verarbeitet. Eine Frage, die Arnow auch sich selbst und ihren Eltern stellt, die im Film zu Wort kommen.

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Kepple trinkt zunehmend mehr und macht rassistische Bemerkungen über Arnows jüdische Herkunft und Schwarze. Und das auch noch in New Yorks Bezirk Harlem. Fremdschämen bekommt eine neue Steigerung bei Kepple. Nie weiß man genau, ob er ironisch ist oder es ernst meint. Arnow kommt nicht von ihm los. Selbst nach der Trennung ist der Film nicht abgeschlossen, sondern zeigt die beiden beim Versöhnungssex. Der Sex wird dann nochmal wiederholt, die Versöhnung bleibt zum wiederholten Male aus. Das Ende einer Beziehung, wie es sich zigtausendfach auf der Welt abspielt. Doch bei Arnow ist die Kamera dabei. Der Zuschauer wird in das Leben von Arnow mit voller Wucht hineinkatapultiert.

Man beobachtet Arnow beim Entscheidungen treffen und möchte ihr zurufen: Lös dich von ihm, der Typ ist unterste Kanone! Als sie die Entscheidung trifft, ihren Eltern das bisher gedrehte Material inklusive der Sexszenen zu zeigen, ist es einerseits spannend die Reaktion der Eltern zu sehen. Auf der anderen Seite ist das eine Szene, die schwer anzuschauen ist, denn die Eltern reagieren hochemotional. Wütend, traurig und am Ende doch versöhnlich. Es wird allmählich klar, dass es nicht nur um die Beziehung zu Kepple geht, es geht schlichtweg um Arnow selbst. Sie ist auf der Suche nach sich selbst. Mehr Abenteuer, mehr Selbstbewusstsein. Das Abenteuer bekommt sie bei Kepple, auch wenn das eher ein schlechter Trip ist. Selbstbewusstsein baut sie sich auf, indem sie ihre Eltern in ihren Film und ihre Probleme einbezieht. Sie emanzipiert sich von allen. Von den Eltern, die lernen müssen, dass sie ihre Tochter mit all ihren Problemen akzeptieren müssen. Sie können sich nicht nur die positiven Erlebnisse mitteilen lassen, wenn sie ein Teil des Lebens ihres Kindes sein wollen.

Wahrscheinlich wollen sich auch nicht wahrhaben, dass sich die Tochter in eine Richtung bewegt, die ihnen fremd ist. Und schließlich von Kepple – auch wenn es Rückschläge gibt und sie sich noch immer von ihm angezogen fühlt. Die moralische Instanz ist der Cutter des Films, der keinen Namen bekommt und einfach als „The Naked Guy“ in den Credits aufgeführt wird. Bohemistisch konsequent unbekleidet versucht er, Arnow ins Gewissen zu reden. Der Film zeigt, dass man um sich selbst zu finden, an sich selbst arbeiten muss. Selbstbewusstsein kann man nicht bei anderen finden, sondern nur bei sich. In dem Sinne hat Arnow Kepple doch gebraucht um sich selbst zu finden. Ein schmerzlicher Weg für sie und den Zuschauer. Ein Debütfilm, der es in sich hat.

Laura Varriale