„Imagine“ von Andrzej Jakimowski


 Ian ist ein blinder Erzieher, der sich per Echoortung in seiner Umwelt orientiert. Foto: Neue Visionen

Ian ist ein blinder Erzieher, der sich per Echoortung in seiner Umwelt orientiert. Foto: Neue Visionen

Sehen lernen

Es ist nicht so oft der Fall, dass Filme einfach nur das alltägliche Leben eines blinden Menschen in den Fokus rücken. Bernd Sahling beschäftigte sich beispielsweise in „Die Blindgänger“ (2003) sehr glaubhaft mit dem Alltag blinder Teenager. Oft aber ist die Behinderung des Protagonisten vor allem dazu da, eine Geschichte in ihrer Dramatik voranzutreiben oder aber es entwickelt sich daraus eine geradezu übersinnliche Fähigkeit. Der polnische Filmemacher Andrzej Jakimowski ist von solcher Fantastik und Melodramatik weit entfernt. Seine Geschichte siedelt er in einer Augenklinik in Lissabon an, wobei der Ort eigentlich keine Rolle spielt. Der blinde Ian kommt als Lehrer für räumliche Orientierung an diese Einrichtung. Seine Methoden sind verblüffend effektiv, aber nicht ungefährlich. Über viele Jahre lernte er mit Hilfe der sogenannten Echoortung seine Umwelt mit den Ohren zu sehen. Nicht nur die jungen Schüler begeistert Ian, auch die zurückgezogen lebende Eva, die sich nach Ians Ankunft zunehmend mehr aus ihrem Zimmer wagt.

Jakimowskis Film ist wie der Titel schon vorausgibt, nicht nur ein Film über Blindheit, sondern auch und vor allem die Kraft der Imagination. Jakimowski inszeniert die fehlende Sehkraft nicht in unscharfen, verwaschenen Bildern, sondern folgt konzentriert den Schilderungen seiner Hauptfigur und dessen »Blick« auf die Welt. Und es dauert nicht lange, bis auch der Zuschauer die Brise des Meeres wittern kann und die warmen Sonnenstrahlen auf der eigenen Haut zu spüren meint. Jakimowskis Film ist auch die Geschichte einer Emanzipation und eine kluge Auseinandersetzung mit der Frage, wie selbstbestimmt Menschen mit Behinderung leben sollten. Unweigerlich muss auch der Zuschauer Position beziehen, wenn Ian von der Klinikleitung verdächtig wird, mit seiner Arbeitsweise das Leben seiner Schüler aufs Spiel zu setzen.

Eileen Reukauf

Die Kritik erscheint mit freundlicher Genehmigung des Stadtmagazins Kreuzer.

ImagineRegie/Drehbuch: Andrej Jakimowski, Darsteller: Alexandra Maria Lara, Edward Hogg, Teresa Madruga, David Atrakchi, Luís Lucas, Melchior Derouet, João Vaz, Kinostart: 2. Januar 2014