„L’Chaim! – To Life!“ von Elkan Spiller


Foto: Filmfest München

Foto: Filmfest München

Unruhe ist typisch für die zweite Generation

L’Chaim!“ ist auch die Geschichte des Regisseurs, dessen Vater ebenfalls die Lager überlebte. Mit Chaim als Sprachrohr entwirft er ein sehr besonderes Psychogramm seiner Generation. Von über 100 Stunden vorhandenem Material, zeigt der endgültige Film zwangsläufig nur Fragmente einer ambivalenten Persönlichkeit, die nicht nur auf sich selbst verweist, sondern auch Fragen offen lässt: Wie sieht ein Leben abseits gesellschaftlicher Normen aus? Wie funktioniert Leben trotz Last? Was bedeutet Familie?

Er hätte ein Großmeister im Schach sein können, hatte aber nicht die nötige innere Ruhe dafür„, sagt Spiller. Das sei typisch für die zweite Generation. „Wir sind getrieben, da ist immer die Angst um die Eltern, die Sorge – man kommt nicht zur Ruhe.“ Diese Unruhe zeigt sich auch in der Kamera, im Schnitt. Jenseits geschönter TV-Formate hat sich der Film – wie sein Hauptdarsteller – einer aufgezwängten Dramaturgie entzogen. Es gibt keinen Höhepunkt, keine wirkliche Katharsis. Auf sehr menschliche Art zeigt der Regisseur, dass jeder Krieg tief im Mark der nachkommenden Generationen sitzt.

Obwohl Spillers Kurzfilm auf über 50 Festivals lief, habe ihm das keine Türen geöffnet. Noch immer sucht er einen Verleih und Sponsoren für „L’Chaim!„, den er größtenteils mit privaten Geldern und Crowdfunding produzierte. „Selbst unter Juden erlebe ich viel Widerstand und wenig Unterstützung für den Film. Gerade die, die es in Deutschland geschafft haben, sind so angepasst, dass sie keine schlafenden Hunde wecken wollen. Aber genau das macht der Film.“ Weitermachen, das ist die Botschaft, kann man mit Freude, auch wenn das Leben tieftraurige Seiten mit sich bringt.

Stück für Stück entfaltet der Regisseur die verschieden Facetten eines Mannes, der mit zerschlissenen Klamotten, Zottelbart und Fluppe anfangs nicht den fürsorglichen Sohn, genialen Schachspieler, religiösen Gelehrten oder ehemaligen Millionär vermuten lässt, der er ist. Durch diese De- und Rekonstruktion wird Schubladendenken quasi unmöglich gemacht. Gerade in Zeiten, in denen Rassismus latent in die Mitte der Gesellschaft zieht, ist das ist eine sehr große Wohltat.

Deniz Sertkol

L’Chaim! – To Life!„, Regie: Elkan Spiller, Protagonisten: Chaim Lubleksi, Nechuma Lubelski
Kamera: Virginie St. Martin, Ron Ramirez, Guillaume Vandenberghe, Raphael Kolacz, Simon Arazi, Elkan Spiller, Asaf Ben Ami, Yigal Elimelech, Gregoire Foucher; Schnitt: Günter Heinzel; Musik: Michael Benhayon; Ton: Alex Davidson, Robert Wiesner; Produzent: Elkan Spiller, Kinostart: 27. August 2015

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