„Marieke und die Männer“ von Souphie Schoukens
Suche nach Nähe
„Wenn ein Mann weiß, es bleibt ihm nicht mehr viel Zeit, ändert sich alles“, sagt Marieke (Hande Kodja) zu ihrer Freundin. „Er lebt jeden Augenblick, als wäre es sein letzter.“ Die 20-jährige arbeitet in einer Brüsseler Pralinen-Manufaktur. In ihrer Freizeit trifft sie sich mit Männern jenseits der 60 auf verlassenen Parkplätzen, in schummrigen Cafés oder in Luxuxhotels. Mit dabei hat sie stets ihre Kamera. Fragmentarisch hält sie einzelne Körperteile der Männer auf Fotos fest – eine Hand, einen Fuß, eine Schulter, um sie anschließend als Gesamtbild neu anzuordnen. Die alten Männer sind für die junge Frau fleischgewordene Lückenfüller. Eine Lücke, die seit dem Selbstmord ihres Vaters als Marieke acht Jahre alt war, von Schweigen umhüllt wird. Ihre Mutter Jeanne (Barbara Sarafian) weigert sich, darüber zu reden und Marieke hat es aufgegeben, danach zu fragen. Die beiden reden stattdessen kaum miteinander, leben vielmehr aneinander vorbei. Bis eines Tages ein alter Bekannter, der Buchverleger Jacoby (Jan Decleir), im Leben der Frauen auftaucht. Jacoby war ein Freund des verstorbenen Vaters und Liebhaber der Mutter.
Souphie Schoukens´ zeichnet in ihrem Langfilmdebüt „Marieke und die Männer“ ein äußerst tristes Bild der belgischen Hauptstadt, ganz so als hätte sich die unausgesprochene Trauer der beiden Frauen über die Stadt gelegt. Dabei konzentriert sich die belgische Filmemacherin vor allem auf die Gedanken- und Gefühlswelt ihrer jungen Protagonistin. Behutsam schält sie Mariekes Beweggründe heraus, ohne dabei ihr Verhalten in irgendeiner Weise zu verurteilen – und das ist eine der großen Stärken des Films. Schoukens´ schützt ihre Hauptfigur. Sie lässt die Schäferstündchen nicht zum voyeuristischen Zwischenakt verkommen und schildert in sachten Schritten den mühsamen Weg der Vergangenheitsbewältigung. Indem die junge Frau mit den alten Männern schläft, kompensiert sie den Verlust des Vaters und die unterkühlte Beziehung zur Mutter. Marieke findet Zuflucht bei ihren Liebhabern, sie geben ihr ein Gefühl von Freiheit und Akzeptanz.
Ausgangspunkt von „Marieke und die Männer“ war das titelgebende Lied „Marieke“ von Jacques Brel. Darin singt der belgische Chansonnier „Ohne Liebe, zärtliche Liebe, ist alles vorbei!“ und bringt den Seelenzustand der weiblichen Hauptfigur auf den Punkt. Was Marieke sucht, nicht nur in ihren erotischen Eskapaden, sind grundlegende Dinge, die ihr die Mutter verweigerte: menschliche Wärme, Geborgenheit und vor allem Liebe.
Eileen Reukauf
„Marieke und die Männer“ Regie/Drehbuch: Sophie Schoukens, Darsteller: Hande Kodja, Jan Decleir, Barbara Sarafian, Caroline Berliner, Pauline Haugness , Kinostart 28. Juni