MIT DER FAUST IN DIE WELT SCHLAGEN von Constanze Klaue

Nachwende-Tristesse
2006 in der ostsächsischen Provinz. Die Brüder Tobi (Camille Moltzen, bekannt u. a. aus WANN WIRD ES ENDLICH WIEDER SO, WIE ES NIE WAR), 9 Jahre alt, und Philipp (Anton Franke), 12, wachsen mit ihren Eltern in einem recht beschaulichen Plattenbau auf. Das neue Haus der Familie Zschornack, das im fiktiven Ort Bleschwitz liegt, in der sorbisch geprägten Oberlausitz, bei Hoyerswerda, ist seit fünf Jahren eine Baustelle. Vater Stefan (Christian Näthe), Elektriker, ist, so stellt sich heraus, handwerklich nicht der Geschickteste und kämpft mit Strom- und Wasserleitungen, was zu Konflikten mit seiner Frau, der hart arbeitenden Krankenschwester Sabine (Anja Schneider), führt. Die Großeltern der Jungen sind ebenfalls präsent, auch wenn der Großvater sichtbar schwächelt, und die Zeichen stehen auf Neubeginn, doch unter der Oberfläche brodelt es im Hause Zschornack.
Das Haus im Grünen, mit dem Hoffnungen auf eine bessere Zukunft verknüpft sind und in dem dennoch auch nach Jahren noch so vieles nicht funktioniert, steht symbolisch für die Familie, die immer mehr zerfällt. Während Stefan seine Arbeit verliert und sich mehr und mehr in den Alkohol und in die Arme der Nachbarin Kathrin (Katrin Röver), Sabines Kollegin, flüchtet, schuftet Sabine so viel, dass ihr Sohn Philipp befürchtet, sie könne bald „verrecken“. Philipp und Tobi versuchen, auf ihre jeweils eigene Art mit der Situation umzugehen: Tobi, ein guter Beobachter, fängt Stefans zurückgesandte Bewerbungen ab und entsorgt sie, um weitere Wutausbrüche und Streitereien der Eltern zu vermeiden, während Philipp Anschluss bei älteren Schülern der Realschule sucht, die der rechten Szene angehören. So entpuppt sich der Wackelkontakt im Wohnzimmer, den Vater Stefan zu Beginn des Films einfach nicht beheben kann, als Vorbote der wackligen Beine, auf denen die Familie schon bald nicht mehr sicher steht.
MIT DER FAUST IN DIE WELT SCHLAGEN ist das Spielfilmdebüt der Regisseurin Constanze Klaue, die – in Anlehnung an den gleichnamigen Debütroman (2018) des 1994 in Räckelwitz in der Oberlausitz geborenen Lukas Rietzschel – auch das Drehbuch schrieb. In ihrem ruhig und in zahlreichen Episoden erzählten Film, den sie auf der 75. Berlinale als Weltpremiere in der Sektion Perspectives vorstellte, rückt sie die Perspektive der beiden oft auf sich allein gestellten Brüder Tobi und Philipp in den Fokus, die einen Weg finden müssen, mit den Schwierigkeiten in der dysfunktionalen Familie zurechtzukommen. Dabei gelingt es Constanze Klaue, die nicht nur im Haus der Zschornacks, sondern auch in dem kleinen Ort und vielerorts im Ostdeutschland der Nachwendezeit vorherrschende Stimmung des Umbruchs, der zerschlagenen Hoffnungen und des Nicht-Ankommens und oft auch Scheiterns in der neuen Lebensrealität detailreich zu beobachten und darzustellen, ohne zu viel zu erklären. Vieles bleibt vage und passiert zwischen den Zeilen.
So sind neben dem ewig unfertigen Haus der Familie Zschornack, das zugleich das Elternhaus der Regisseurin ist, deren Familie dort ebenfalls ihr Glück suchte, auch weitere Orte symbolisch aufgeladen. Am See im ehemaligen Steinbruch, an dem Tobi und Philipp im Sommer ausgelassene Momente erleben, nimmt sich im Winter Uwe, ein ehemaliger Kollege von Stefan, der seine Frau geschlagen und sie zu DDR-Zeiten bespitzelt haben soll, auf dramatische Weise das Leben. In der Realschule, auf die beide Jungen gehen, kommt Philipp auf der Suche nach Zugehörigkeit mit den rechten Schülern in Kontakt, die ein Hakenkreuz auf einen Stein vor der Schule schmieren. Tobi trifft 2015 im verlassenen und verfallenen Schulgebäude, in dem er sich als Kind in Arzttochter Elisabeth, die wenig später aufs Gymnasium wechselte, verliebte und das nun ein Flüchtlingsheim werden soll, eine Entscheidung, die sein weiteres Leben beeinflussen wird. Es scheint fast so, als drohe in MIT DER FAUST IN DIE WELT SCHLAGEN an den Orten, die Hoffnung, Zukunft und vielleicht ein bisschen Glück versprechen, immer schon die Verkehrung ins Gegenteil.
Obwohl der Filmtitel gewalttätige Szenen vermuten lässt, verzichtet die Regisseurin auf Bilder von Nazi-Aufmärschen und bleibt nah bei ihren jungen Protagonisten, die beide in die rechte Szene hineingeraten, was Klaue jedoch nicht auserzählt. Sie kreiert eine bedrückende, unterschwellig bedrohliche Atmosphäre und lässt das Coming-of-Age-Drama nach einem Zeitsprung im Jahr 2015 enden. MIT DER FAUST IN DIE WELT SCHLAGEN kommt als leiser, aber nicht weniger intensiver Film daher, dessen Regisseurin vieles offenlässt und die Zuschauer*innen auf diese Weise herausfordert, zum Nachdenken anregt – und nach einem eindrücklichen Schluss betroffen zurücklässt.
Stefanie Borowsky
MIT DER FAUST IN DIE WELT SCHLAGEN, Regie: Constanze Klaue; Darsteller*innen: Anton Franke, Camille Moltzen, Anja Schneider, Christian Näthe, Johannes Scheidweiler. Kinostart: 3. April 2025.