„Oslo, 31. August“ von Joachim Trier
Tschüss Leben
Haltlos streift Anders durch das spätsommerliche Oslo. Kurz vor der Entlassung aus einer Entzugsklinik hat er einen Tag Ausgang erhalten und trifft auf alte Weggefährten. Während sich im Schutzraum der Klinik der Alltag irgendwie bewältigen ließ, stößt Anders „draußen“ schnell an seine Grenzen. Mehrere Jahre war der 34-Jährige im Drogenentzug verschollen – und nun soll er noch einmal von vorne anfangen, sich noch einmal neu erfinden. Wie schon in seinem Film „Auf Anfang“ (2006) widmet sich der norwegische Regisseur Joachim Trier auch in seinem zweiten Langfilm „Oslo, 31. August“ der Identitätssuche junger Menschen. Während Trier seinem Spielfilmdebüt über zwei junge aufstrebende Schriftsteller einen optimistischen Grundanstrich verpasste, verpackt er sein Porträt über Anders als geradezu hoffnungsloses, sehr konzentriertes Psychodrama. 24 Stunden lang begleitet Trier seinen Protagonisten, bleibt ihm mit Handkamera dicht auf den Fersen. Die klaren Bilder erzeugen eine Natürlichkeit, die sich auch im Spiel des Hauptdarstellers, Anders Danielsen Lie, wiederfindet.
Die Figur des Anders stehe stellvertretend für eine Generation in Norwegen, die eigentlich alles habe, erklärt Trier in einem Interview, und doch nicht wisse, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Das klingt ein wenig polemisch, gibt aber letztlich nicht den Eindruck des Films wieder. Denn Trier konzentriert sich ganz auf die verstörende, ambivalente Gefühlswelt seiner Hauptfigur. Wer möchte, kann hier natürlich Anknüpfungspunkte ausmachen und das Spiegelbild einer gut situierten, aber orientierungslosen Gesellschaft erkennen. Man kann sich aber auch ganz Anders‘ ziellosem Herumtreiben hingeben und gemeinsam mit ihm Abschiednehmen von Oslo, seinen Freunden und seinem Leben.
Eileen Reukauf, mit freundlicher Genehmigung des Leipziger Stadtmagazins Kreuzer.
„Oslo, 31. August“ Regie: Joachim Trier, Drehbuch: Joachmin Trier, Eskil Vogt, Darsteller: Anders Danielsen Lie, Johanne Kjellevik Ledang, Kjærsti Odden Skjeldal, Petter Width Kristiansen, Hans Olav Brenner, Kinostart: 4. April 2013