„Paradies: Glaube“ von Ulrich Seidl


Anna Marias Selbstkasteiung ist eine Art Schutzwall gegen das von Enttäuschungen gezeichnetem Leben. Foto: Ulrich Seidl Filmproduktion, Neue Visionen Filmverleih

Anna Marias Selbstkasteiung ist eine Art Schutzwall gegen das von Enttäuschungen gezeichnete Leben. Foto: Ulrich Seidl Filmproduktion, Neue Visionen Filmverleih

Der verfolgte Sünder

Der Katholizismus erscheint trotz neuem Papst als ein Ineinander von Opportunismus und Dogmatismus. Das gläubige Schäfchen bemüht sich um ständige Anpassung, um gleichzeitig unbeugsam das Martyrium von Jesus Christus nachzuempfinden. Das Bild, das der Katholizismus dabei vom Leib als Quelle der Lust zeichnet, ist weder entsexualisiert noch harmonisch, sondern äußerst affektbesetzt und in sich widersprüchlich. In Ulrich Seidls „Paradies: Glaube“ wendet sich Anna Maria (Maria Hofstätter) ganz und gar ihrem Erlöser zu. Ihr Alltag besteht aus Ritualen der Demut und Züchtigung. Ihre unkeuschen Gedanken enden in zerschürften Knien, denn sie kann manchmal nicht aufhören, betend durch ihre steril-saubere Wohnung zu rutschen. Gleichzeitig kämpft sie mit einigen Gleichgesinnten für ein katholisches Österreich. Ganz unabhängig von dem guten oder bösen Willen Anna Marias, von bizarren oder masochistischen Ritualen und Zielen, produziert jede Steigerung ihres Verhaltens neues Glück und unabsehbare Distanz vom Rest der Menschheit.

Ihre Selbstkasteiung ist eine Art Schutzwall gegen das von Enttäuschungen gezeichnetem Leben. Sie interessiert sich für den Glauben, nicht für Menschen, die mit der religiösen Obdachlosigkeit und dem säkularen Alltag zu kämpfen haben – so oder so. Ja sie kann nur mit Unbarmherzigkeit gegenüber jenen dienen, die dem Katholizismus skeptisch bis gleichgültig gegenüber stehen. Die unzähligen, teils absurd anmutenden Vermittlungsformen, die der Katholizismus im Lauf der Jahrhunderte entwickelt hat, um die Dämonie des Sexus zu exorzieren, geben diesem schon durch die darauf verwandte Energie in einem Maße recht, das seine Kirche sich nur um den Preis der Selbstaufgabe eingestehen könnte.

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