„Paradies: Liebe“ von Ulrich Seidl


Die Liebe endet in einer sexuellen Farce mit jungen Einheimischen. Foto: Neue Visionen Filmverleih

Die Liebe endet in einer sexuellen Farce mit jungen Einheimischen. Foto: Neue Visionen Filmverleih

You like more this then kiss?

Man könnte „Paradies: Liebe“ als Ulrich Seidls (hier zum Interview mit dem Regisseur) fünften Spielfilm betrachten. Es gibt ein Drehbuch, was bis zu „Hundstage“ nicht der Fall war. Andererseits schreibt er auch hier die speziell luzide Art des Dokumentarischen in seiner Arbeit fort. Seine Filme waren schon immer Spiel-Filme, weil sie zeigen, wie die Menschen mit ihrer Fehlentwicklung, auch Biographie genannt, vor einer Kamera spielen, die ihrerseits ihr eigenes Spiel treibt. Dokumentarisch bleibt auch „Paradies: Liebe„, weil der Film erneut das Leben von Menschen ohne Ideal und Filter wiedergibt. Entgegen der landläufigen Meinung, beschäftigt Seidl weder das Elend der Menschen noch ihre Dummheit. Ihn beschäftigt die Suche nach Glück, Erfolg, Geborgenheit und Anerkennung, an der man gemeinsam und alleine scheitert. Der Zusammenhang zwischen dem, was uns kaputt macht, und dem, was man kaputt macht und die völlige Unfähigkeit, die eigenen Verhältnisse als solche auch nur zu benennen. Diese von Fremdscham getragene Übertreibungskunst ist vielleicht auch nur eine besonders snobistische Weise, das eigene Gewordensein und die damit verbundene Partizipation an der Kontinuität zu verdrängen, doch weil das Fremdschämen die Verwandtschaft zum Selbstmitleid nur unter gewissen Umständen bereit ist einzuräumen, muss dieser Film gute zwei Stunden gehen, bis so etwas wie Selbstreflexion für die meisten lohnenswert ist.

Paradies: Liebe“ ist nicht der erste Film, der sich mit dem Thema Sextourismus beschäftigt. Er ist auch nicht der Erste, der das Verhältnis von älteren Frauen und jungen Männern zum Thema hat, doch er ist mit Abstand der dreckigste, expliziteste und schonungsloseste. Wieder einmal werden seine Charaktere feierlich vernichtet. Man begleitet Teresa (Margarethe Tiesel) in ihren Urlaub nach Kenia. Ihre Suche nach Liebe endet in einer sexuellen Farce mit jungen Einheimischen. Sie schämt sich für ihren eigenen Körper, der nicht dem Standard von Pornofilmen entspricht. Sex funktioniert nicht ohne eine gewisse Selbstaufgabe oder Selbstüberwindung und ohne wenigstens vorübergehend einen Zustand der Abhängigkeit und der Schwäche zu empfinden. Das Prinzip des Casual Datings führt Teresa im Laufe des Films für sich selbst ab absurdum und es verkommt so zu einem zeitweiligen, schalen Vergnügen.

Ein weiterer Bestandteil in einem All-Inclusive-Urlaub. So fragt sie einmal einen jungen Mann: „You like more this then kiss?“ und fasst ihren hängenden Busen an. Europas von Trennungsslust geplagte Frauen bevorzugen Männer, die sowohl kindlich naiv als auch ursprünglich dominant sind. Für eine alleinerziehende Mutter wie Teresa, die mit Komplexen und Frust ihren Job als Behindertenpflegerin ausübt, sind die drahtigen afrikanischen Männer ein wahrer Segen. Ihre Sexualität ist ungezwungen, ausdauernd und unkompliziert. Hier kann sie sich ausleben – ohne Analyse oder Kritik an ihrem Körper befürchten zu müssen. Seidls langjährige Mitarbeiter Wolfgang Thaler und Ed Lachmann verpassen dem Ganzen noch den typischen Seidl-Look und zusammen mit einer Mixtur aus Eurodisco und afrikanischer Popmusik ist wieder einmal eine Groteske erster Güte entstanden.

Dass es falsch ist, den Regisseur mit seinen Filmgestalten einfach zu identifizieren, lernt man mittlerweile beiläufig. Das Problem ist nur, dass der moderne Autorenfilm diesen ehernen Grundsatz der Dramenästhetik in bestimmter Hinsicht aufgehoben hat – und Seidls Dramaturgie macht gleichsam die Probe aufs Exempel. Peter Szondi rekonstruierte in seiner Theorie des modernen Dramas den Verlauf der Krise an einzelnen Stücken und hielt dabei die Herausbildung eines „epischen Subjekts“ fest. Es liegt nun am Zuschauer, ob Ulrich Seidl der Kronzeuge des Untergangs, Übergangs oder Gang-Bangs ist, Fakt ist aber, dass österreichische Filmemacher Marken und Deutsche Flaschen sind.

Joris J.

Paradies: Liebe Regie: Ulrich Seidl, Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz, Darsteller: Maria Hofstätter, Margarete Tiesel, Inge Maux, Peter Kazungu, Carlos Mkutano, Gabriel Mwarua, Kinostart: 3. Januar 2013