„She Male Snails“ von Ester Martin Bergsmark


"She Mials Snails": Transsexualität als erstrebenswerten Zustand

"She Male Snails": Transsexualität als erstrebenswerten Zustand

Zwischen Geschlechtercodes

Unsicher greift Ester nach Elis Arm und zieht seinen nassen Körper an sich heran. In der Beengtheit der Badewanne küssen sie sich zärtlich, konzentriert. Die kurze, sehr sinnliche Szene in Ester Martin Bergsmarks „She Male Snails“ (DK/S 2012) ist ergreifend und einfach. Man wünscht sich, der ganze Film wäre ebenso zugänglich, aber Bergsmark macht es dem Zuschauer nicht leicht. Mit Absicht, immerhin geht es um nicht weniger als die Komplexität des Seins, des Anders-Seins, des Dazwischen-Seins.

Im Mittelpunkt seines Hybridfilms stehen er selbst und der Autor Eli Levén, der mit seinem Roman „You Are the Roots that Sleep Beneath My Feet and Hold the Earth in Place“ im Jahr 2010 debütierte und viel Lob erntete. Doch schon diese, stichpunktartige Synopsis ist im Grunde eine Vereinfachung – lebt sie doch genau von den Gender-Be– und Zuschreibungen, die der Film hinterfragt. Denn sowohl Eli als auch Ester sind Trans- oder, wie sie sich lieber selbst nennen, Ladyboy Hags. Mit männlichen Geschlechtsmerkmalen geboren, verorten sich beide zwischen den binären Geschlechtercodes, sind weder Mädchen, noch Jungen.

Es ist die größte Errungenschaft des Filmes, dass er das Phänomen „Trans“ als biografische Entwicklung nachzeichnet und nicht als exzentrisches Anderssein vorführt. Damit verweigert sich „She Male Snails“ einem gesellschaftlichen Diskurs, der viel zu oft anhand von medizinischen Nachschlagewerken und medialen Schlagworten geführt wird. In diesem Diskurs erscheint Transsexualität als Abweichung, als psychische Störung, die einer Rechtfertigung oder Korrektur bedarf. Dabei gibt es längst nicht nur Transsexuelle, die sich fühlen, „als wären sie im falschen Körper geboren worden“ und sich deshalb in der Folge einer Operation unterziehen, wie es die Medien oft gern hätten, weil damit eine Rückkehr zur Zweigeschlechtlichkeit erreicht wird.

Das nicht oft thematisierte Trans, nämlich Transsexualität als erstrebenswerten Zustand, als „zwischen-den Geschlechtern-Sein“ oder als Identitätskategorie überhaupt –“She Male Snails“ greift diese Idee auf. Collagenartig zusammengesetzt, erleben wir Eli oder auch Ester als Kind, das den Lippenstift seiner Mutter ausprobiert und im Wohnzimmer tanzt; als Teenager, der vor den Menschen in den Wald flüchtet und dort Äpfel isst; als Erwachsenen, der abermals vor den Menschen in den Wald flüchtet und dort mit einem Fremden ein sexuell anregendes und gleichzeitig Angst einflößendes Rollenspiel beginnt. Verbindendes Element ist eine Plastiktüte mit Lippenstift, die in vielen Szenen immer wieder auftaucht. Sie wirkt wie die Beschwörung einer nie enden wollenden Reise zur eigenen Identität, wie ein provisorisches Leben, das immer und immer wieder performativ erarbeitet und errungen werden muss.

Durchbrochen werden diese vermeintlich fiktiven Szenen immer wieder von einem gemeinsamen Baderitual des Paares Eli und Ester. Ester rasiert Eli die Beine, die beiden streicheln sich, sie sehen sich an und aus dem Off entspinnt sich ein Dialog über ihre erste Begegnung, ihre gemeinsamen Erlebnisse und ihre eigenen, voneinander unabhängigen Ladyboy Hag-Erfahrungen und Identitäten. Die Welt außerhalb der Badewanne – sie erscheint anonym und metaphorisch als vorbeifahrendes Auto, als Wald hinter dem See. Und oft ist sie bedrohlich. Das wird besonders deutlich, als die beiden erzählen, wie sie zu Opfern einer Gewalttat, eines so genannten „Gay Bashings“ wurden. Als eine Gruppe junger Männer sich durch die Androgynität und Verliebtheit der beiden provoziert fühlte, schlug sie die beiden brutal zusammen. Die von beiden abwechselnd erzählte Erinnerung zeigt, dass sexuelle Variation nach wie vor oft als verstörend und abnormal wahrgenommen wird.

Die Flucht aus dieser Welt in eine andere, in der man das Schneckenhaus wechseln kann, in der sich die Badewanne nicht mehr in der gleichen Zeit befindet, sie ist visuell ansprechend, aber inhaltlich nicht immer überzeugend. „She Male Snails“ ist zu fragmentarisch, um greifbar zu sein und zu selbstverliebt, als dass man ein Gefühl dafür entwickeln könnte, was Trans-Identität denn nun eigentlich bedeutet. So erfährt der Zuschauer wenig über das Umfeld der beiden, über ihre Familien beispielsweise oder ihre Träume, Wünsche und Ambitionen. „Im Wasser verliert der Körper alle seine Ecken“, sagt Eli irgendwann verträumt – es ist einer von vielen schönen, ästhetischen Sätzen in diesem Film. Aber ein paar Ecken und Kanten hätten ihm trotzdem nicht geschadet.

Marie Ketzscher