„Rabbi Wolff“ von Britta Wauer – achtung berlin 2016
Ein Leben voller Weisheiten
William Wolff oder Willy – wie ihn seine Freunde und Bekannten nennen – lernt der Zuschauer von Beginn an so kennen, wie er ist: Außergewöhnlich. Der beinahe 90-jährige stapft über einen akkurat gemähten englischen Rasen oder nimmt in einer Wartehalle am Flughafen im Lotus-Sitz Platz. Willy ist jemand besonderes und bricht allzu gerne die Erwartungen der Menschen.
Willy Wolff arbeitet als Rabbiner in der jüdischen Gemeinde Schwerins. Auch wenn der Umstand schon spektakulär anmutet, dass es mitten im platten mecklenburgischen Land eine jüdische Gemeinde gibt, übertrumpft ihr Rabbiner jede Verwunderung. Willy lebt on the road. Er pendelt in seinem Arbeitsgebiet zwischen Schwerin, Rostock und Greifswald, besucht Verwandte in Israel und entgiftet seinen Körper auf einer Kur in Bad Pyrmont. Am liebsten zieht sich der Rabbiner aber in sein Haus in England zurück. Seit Jahren nimmt er alle zwei Wochen den Hin- und Rückweg zwischen Mecklenburg und England auf sich. Die diversen und prallen Schlüsselbunde, die der Rabbiner zu all seinen Wohnungen und Büros besitzt, demonstrieren das unverbesserlich.
Während andere Männer seines Alters tendenziell auf Gehhilfen angewiesen sind, ist Willy fit wie ein Turnschuh. Er zieht die Aufmerksamkeit auf sich, egal wohin er kommt. Wer sich ein Bild vom Rabbiner vorstellt, erwartet einen orthodoxen, vollbärtigen Mann und trifft stattdessen auf einen lebensfrohen englischen Gentleman. Aber im Grunde genommen gibt es kaum Leute in seinem weiteren Umfeld, die William Wolff nicht kennen – er ist bekannt wie ein bunter Hund.
Willys Lebensweg stellt sich so aufwühlend wie ungewöhnlich dar. Als Jude im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges in Berlin geboren, floh er als Kind schon früh mit seiner Familie zuerst in die Niederlande und später nach Großbritannien. Bereits als kleiner Junge hatte Willy zwei Berufswünsche: Journalist und Rabbiner. Beide konnte er sich erfüllen. Nachdem er sein ganzes Berufsleben lang erfolgreich dem Journalismus unter anderem beim „Daily Mirror“ gewidmet hat, beschließt Willy mit beinahe 70 Jahren, noch einmal umzuschulen: Er will Rabbiner werden.
Doch der Mann, der von Wissbegierde, Lerneifer und Liebe zu seinen Mitmenschen nur so strotzt, vermisst im Blick zurück manches, das er verpasst hat.