„Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien“ von Bettina Böhler


Christoph Schlingensief © Filmgalerie 451

Hommage an Deutschlands „Provokateur“

Christoph Schlingensief hat das Publikum von Anfang an polarisiert. Von vielen geliebt für seine kompromisslosen Werke, ob im Film, im Theater oder bei seinen zahlreichen Aktionen, von anderen als Provokateur und Trash-Künstler abgelehnt. Aber egal, was man von ihm oder seinem Werk hält, er war nie langweilig und hat es immer geschafft, Leute zum Nachdenken anzuregen und zu Reaktionen zu provozieren. Und dies war immer sein erklärtes Ziel. Mit seinen Filmen und später noch verschärfter mit seinen Theaterstücken und den politischen Aktionen legte er seinen Finger tief in die schwelenden Wunden der Zeit und das Fehlverhalten von Politikern.

Vor allem die Nachwendezeit war ein gefundenes Fressen für seine Filme. Man denke da nur an „Das deutsche Kettensägenmassaker“, in dem Westdeutsche Jagd auf Ostdeutsche machen, um sie zu Wurst zu verarbeiten. Eine wunderbare Allegorie auf die Übernahme des Ostens. Trotz oder vielleicht gerade deswegen, fanden sich auf seinen Besetzungslisten viele bekannte Namen. Anfangs noch neue Leute wie Alfred Edel, mit dem ihm bis zu dessen Tod eine tiefe Freundschaft verband, oder Helge Schneider, der am Anfang seiner Karriere stand. Auch Quereinsteiger wie der damalige Ex-Staatsanwalt Dietrich Kuhlbrot oder komplette Laien spielten mit. Doch bald gesellten sich viele Fassbinder- Stars wie Margit Carstensen, Irm Hermann oder Volker Spengler dazu, bis zu international bekannten Stars wie Tilda Swinton und Udo Kier. Und bei seinen Theaterarbeiten, vor allem in der Berliner Volksbühne standen Schauspieler wie Sophie Rois, Martin Wuttke und Corinna Harfourch mit ihm auf der Bühne. Denn er führte nicht nur Regie, er spielte auch immer mit.

Der Dokumentarfilm von Bettina Böhler, hauptsächlich als Cutterin bekannt, zeichnet ein faszinierendes Bild von Schlingensiefs gesamten Schaffen über 40 Jahre bis zu seinem frühen Krebstod im Alter von 49 Jahren. Als Schnittmeisterin arbeitete sie bei zwei seiner Filme an der Montage („Terror 2000„, „Die 120 Tage von Bottrop„). Erzählt wird der Film von Schlingensief selbst, da der Film aus (teilweise unveröffentlichtem) Archivmaterial zusammengesetzt ist.
Da gibt es seine originalen ersten Super-8-Filme, Filme des Vaters aus der Kindheit und private Aufnahmen aus späteren Jahren, bis zu Talkshowinterviews von Alexander Kluge bis Sabine Christiansen. Vom Vater hatte er auch seine erste Kamera geborgt und eines seiner meistverwendeten Stilmittel abgeguckt: die Doppelbelichtung. Sein Vater hatte eine Kassette versehentlich einmal zu viel umgedreht und so spazierten Leute auf den Badeaufnahmen der Familie herum. Dies faszinierte den jungen Christoph so stark, das er dies in allen seinen Filmen und bei Filmaufnahmen in Theaterstücken immer wieder verwendete. Obwohl bei Filmschulen immer wieder abgelehnt (Wim Wenders mochte seine Art von Film wohl nicht wirklich), begann er nun, Filme professioneller und in Kinolänge zu drehen.

Nach mäßigeren Erfolgen in der Anfangsphase („Tunguska-Die Kisten sind da„), lernte er Tilda Swinton kennen, die fasziniert von ihm war und bei „Egomania- Insel ohne Hoffnung“ mitspielte. Nach seiner Deutschland-Trilogie („100 Jahre Adolf Hitler- Die letzte Stunde im Führerbunker„, „Das deutsche Kettensägenmassaker„, „Terror 2000„), mit denen er richtig bekannt wurde, und in denen er die deutsche Wendezeit kritisiert, folgten (leider) nur noch „United Trash“ und „Die 120 Tage von Bottrop„.

Christoph Schlingensief © Filmgalerie 451

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