„Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Florian Opitz
Üben, üben, üben
Lust zu haben, bezeichnet im deutschen Sprachgebrauch im Regelfall einen besonders dreisten Akt der Aggression. Nicht das Interesse nach Hingabe an das begehrte Objekt wird mit dieser Formulierung zum Ausdruck gebracht, sondern der Wille, es sich ohne Schamgefühl und Zartheit, dafür aber restlos anzueignen. Hochherzig begibt sich Florian Opitz in seinem neuen Dokumentarfilm“Speed“ auf die Suche nach der Zeit und gewinnt Lust auf ein Mehr an ihr. Als allererstes stellt er fest, dass in unserer Gesellschaft Zeit ein Luxus ist. Anschließend recherchiert er die Warums. Seine Conlusio besteht darin, dass das alles ganz doll anstrengend ist, wir das aber alles schaffen werden.
Die Arbeitsweise von Florian Opitz ist der eines Richard David Precht oder Manuel Möglich nicht unähnlich. Auch er schafft es komplizierte, gesellschaftliche Zusammenhänge auf ein „Wir Kinder von Bullerbü“-Niveau herunter zu drücken und damit gründlich zu verfälschen. Mit dem ostentativen Gestus des postideologisch und gründlich verpimpelten Aufklärers erhebt er im Off seine agressionsfördernde Stimme gegen ständige Erreichbarkeit, die Aufhebung von Arbeitsplatz und Wohnort und einer Sieben-Tage-Woche. Mal davon abgesehen, dass seine küchenphilosophischen Gedankenspielereien manchmal nicht völlig unsympathisch sind, scheint ihm die Kernbegabung (oder -fähigkeit) eines Dokumentarfilmes vollständig zu fehlen – das Aufbauen eines Rasters. Das muss ja nicht gleich in irgendeinem hegelianischen Dogma über die dominierende Rolle von metaphysischen Prinzipien münden, aber mehr als „Das ist alles ganz schön kompliziert“ wird ja wohl drin sein. Begreifen und Kontrastieren, Klassifizieren und Anordnen, in komplexen oder weniger komplexen Mustern ist keine spezielle Art und Weise des Denkens, es ist das Denken selbst.
Eine merkwürdige Tendenz zeichnet den deutschen Film im Allgemeinen seit Jahren aus. Er ist notorisch nett, freundlich, gibt sich Bescheiden, vermeidet nach Möglichkeit clevere Plots und Charaktere, die Ideen verkörpern, an denen man sich reibt und glauben kann. Ein Kino wie ein Apfelstrudel, demgegenüber die Österreicher wenigstens zu ihren Neurosen stehen. Genau genommen ist doch das Theorem, dass wachsende Beschleunigung zu einer Minderung von Eigenzeit führt, seit Paul Virilios „Fahren Fahren Fahren“ ein alter Hut: „Die Unzufriedenheit der Städter mit dem Rahmen ihres Lebens wird enorm gestiegen sein, und der Zerstörung der Nähe zu anderen wird wahrscheinlich in dem Maße gesteigerte Agressivität folgen, wie es eine Kausalität zwischen Hypergeschwindigkeit und Hypergewalt gibt… Die Dynamik der Geschwindigkeit wird alles beleben, vor allem die Illusion zu glauben, Hyperkommunikabilität sei ein Zeichen von Fortschritt, ein Symbol von Zivilisation.“
Das eigentliche Problem unser westlichen Gesellschaft ist doch der Umgang mit Freiheit und dieses Problem ist quälend und komplex. Es kann geschehen, dass eine Freiheit eine andere untergräbt. Die Freiheit des Einzelnen oder einer Gruppe ist mit den Ansprüchen der Gemeinschaft auf Kooperation nicht immer vereinbar. Darüber hinaus besteht noch das Problem, übergeordnete Bedürfnisse und die Ansprüche anderer, nicht weniger entgültiger Werte, zu erfüllen: Gerechtigkeit, Glück, Liebe, die Ausübung der Fähigkeit neue Ideen und Dinge hervorzubringen und die Entdeckung von Wahrheit. Florian Opitz schnullerbackt lieber kleinere Brötchen. So sollte er sich auch nicht wundern, wenn die Zuschauer stattdessen Adam Curtis „The Trap“ bevorzugen werden, denn er ist fähig rasiermesserscharfe Raster zu bilden, sich dem Warum des Zivilisationszustandes- und zerfalls angemessen zu nähern und nimmt darüber hinaus seine Zuschauer auch noch ernst. Was bleibt ist üben, üben, üben.
Joris J.
„Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit„, Regie Florian Opitz, Kinostart: 27. September 2012