„Suspiria“ von Luca Guadagnino
Dies spiegelt sich auch in den wenigen Zitaten aus der Filmvorlage wieder, die hier bewusst durchbrochen werden. Während sich bei Argento der erste Mord durch ein leuchtendes Augenpaar vor dem Schlafzimmer von zwei Mädchen ankündigt, bevor eine Hand von außen die Fensterscheibe durchschlägt, erschüttert nun eine Bombenexplosion der RAF auf der Straße die Scheiben der Wohnung und erschreckt die jungen Schülerinnen. Vor allem das Szenenbild wurde hervorragend recherchiert. Sowohl Taxis, U-Bahnen, Werbeanzeigen, Graffitis auf der Mauer und die Innenausstattung der Tanzschule sehen exakt wie auf Fotografien und Filmaufnahmen aus dem Berlin der 1970er Jahren aus. In dieser Verortung in der geteilten Stadt offenbart sich ein weiteres Vorbild für dieses Gruselmärchen. „Suspiria“ entfaltet eine ähnliche Stimmung wie Andrzej Żuławskis wilder Genremix „Possession“ (1981), in dem die Mauer als Riss durch den urbanen Raum ein Sinnbild für die impulsive Trennung der beiden Protagonisten darstellte.
Die Morde und Verletzungen werden als große Setpieces in Szene gesetzt, übertreffen in ihrer Brutalität jedoch die neonfarbenen Absurditäten des Originals vor allem durch einen geradezu vulgären Naturalismus. Während Susie eine Tanzchoreographie aufführt, steuert sie unwissentlich den Körper einer Mitschülerin in einem anderen Raum. Telekinetisch bricht sie die Knochen des anderen Mädchens in einer Parallelmontage, bis dieses vollkommen verrenkt kollabiert und auf den Boden uriniert. Obwohl derartige Gewaltexzesse rar sind, wirken sie im direkten Vergleich umso eindrucksvoller. Zu der unheimlichen Grundstimmung tragen eine Reihe von Mitstreitern bei. Allen voran eine fantastische Doppelrolle von Tilda Swinton als dominante Tanzlehrerin Madame Blanc sowie als alternder Psychotherapeut Dr. Josef Klemperer, für dessen Darstellung sie im Abspann das Pseudonym Lutz Ebersdorf verwendete. Die entsättigten Bilder stammen von dem thailändischen Kameratalent Sayombhu Mukdeeprom („Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“). Der Soundtrack von Radiohead-Frontmann Thom Yorke entfaltet vor allem im furiosen Finale eine gewaltige Kraft, wobei das überaus blutigen Effekte-Massaker in der Tanzakademie sich nicht ganz so passend in die bis dahin vorherrschende Subtilität der Gruselgeschichte einfügen will.
„Suspiria“ steuert eine andere Ästhetik als Dario Argentos Vorlage an und kann erfolgreich als eigenständiges Werk bestehen. Dazu trägt vor allem Guadagninos gekonnte Regie, ein großartiges Setdesign und ein dynamisches Zusammenspiel von Kameraarbeit, Tongestaltung und Filmmontage bei.
Henning Koch
„Suspiria“, Regie: Luca Guadagnino, Darsteller: Dakota Johnson, Tilda Swinton, Mia Goth, Chlöe Grace Moretz, Angela Winkler, Ingrid Caven, Kinostart: 15.11.18