THE CARD COUNTER von Paul Schrader


Oscar Isaac stars as William Tell in THE CARD COUNTER, a Focus Features release. Credit: Courtesy of Focus Features

Spiel des Lebens und des Todes

Die Filme von Paul Schrader sind voller gepeinigter Seelen, die jenseits des grellen Tageslichts ihrem Schicksal folgen. THE CARD COUNTER macht da keine Ausnahme. Darin zieht der ehemalige Soldat Wilhelm Tell (Oscar Isaac) durch die unbedeutenden Casinos der Vereinigten Staaten. Die Anonymität dieser tristen Nicht-Orte zieht ihn an, hier wähnt er sich, die Kontrolle zu haben. Im gedimmtem Neonlicht der Poker- und Blackjack-Tische verbringt er Stunde um Stunde, Tag um Tag in einsamer Isolation von der Außenwelt. Mit niedrigen Einsätzen und niedrigen Gewinnen versucht der ehemalige Häftling, keine Aufmerksamkeit auf seine Fähigkeit des Kartenzählens zu lenken, die er sich während eines zehnjährigen Gefängnisaufenthalts angeeignet hat. Als er auf seinen existenziellen Streifzügen der charmanten Spielvermittlerin La Linda (Tiffany Haddish) begegnet, eröffnen sich ihm scheinbar neue Möglichkeiten. Sie will sein Talent nutzen, damit er an den großen Tischen hohe Gewinne für sie einstreichen kann. Doch als der junge Cirk (Tye Sheridan) seinen Weg kreuzt, sieht er sich auch mit den Dämonen aus seiner militärischen Vergangenheit im Irakkrieg konfrontiert.

THE CARD COUNTER ist keine realistische Auseinandersetzung mit der Welt des Glücksspiels und den traumatischen Auswirkungen des Irakkriegs. Das stilsicher inszenierte Neo-Noir-Stück nutzt den Handlungsort viel mehr als verzerrte Reflexion einer Welt, in der Tell Zuflucht vor seinen Schuldgefühlen und dem amoralischen Kalkül des „military–industrial complex“ zu finden versucht. Den provinziellen Glücksspieltempeln haftet kein Stück des oberflächlichen Glamours an, der das aufgebauschte Las Vegas-Epos CASINO (1995) von Martin Scorsese (welcher hier als Produzent agierte) einst ausgezeichnet hat. Die digitale Kameraarbeit und Tells Erläuterungen seiner Spieltaktiken aus dem Off wirken wie nüchterne Observationen des Geschehens und stehen im harten Kontrast zu den apokalyptisch anmutenden Erinnerungen an die Foltervorgänge von Abu-Ghuraib, die ihn nachts plagen. Darin windet sich eine verkrümmter Virtual Reality-Perspektive zu Heavy Metal Musik durch das grauenhafte Geschehen in den klaustrophobischen labyrinthartigen Gefängnisgängen.

Subtilität gehört nicht zu Schraders Stärke. Auch hier droht die Symbolik in einigen Szenen Überhand zu nehmen. So zum Beispiel, wenn Tell die Möbel in seinem Motelzimmer sorgfältig in weiße Tücher einwickelt, um dort ein wenig Schlaf finden zu können. Der pensionierte Major John Gordo (Willem Dafoe), der Tell einst die menschenrechtlich mehr als fragwürdigen „enhanced interrogation techniques“ im Irakkrieg beigebracht hatte, mutet wie eine leibhaftige Ausgeburt des Teufels an. Und sein großer Opponent am Spieltisch (Alexander Babara) nennt sich Mr. USA und trägt die Farben des Sternenbanners zur Schau, obwohl er aus der Ukraine kommt. Doch auf der anderen Seite glänzt THE CARD COUNTER mit einem herausragenden Oscar Isaac in der Hauptrolle als ein von Selbstzweifeln zerrissener Antiheld mit unterkühltem Pokerface und mit einer hervorragenden Inszenierungsweise. Wenn ein eindrucksvoll choreografierter Drohnenflug durch einen künstlich-bunt erleuchteten LED-Garten von dem düster-eingängigen Soundtrack von Robert Levon Been untermalt wird, vergibt man Schrader diese narrativen Bluffs. Vor allem in der klaren filmischen Fiktionalisierung zwischen Rachegeschichte, Melodrama und Liebesfilm kommt THE CARD COUNTER weitaus intimer und komplexer daher, als Kevin Macdonalds thematisch ähnlich gelagertes Hollywood-Vehikel THE MAURITANIAN.

Henning Koch

THE CARD COUNTER, Regie: Paul Schrader, Darsteller*innen: Oscar Isaac, Tiffany Haddish, Tye Sheridan, Willem Dafoe