„The Deflowering of Eva van End“ von Michiel ten Horn
Zerstörtes Familienidyll
Was für ein Genuss die Zerstörung einer Fassade sein kann: Eben noch sitzt die Familie einträchtig am Frühstückstisch – im nächsten Moment ist von der bürgerlichen Sittsamkeit nichts mehr übrig. Die Mutter findet sich auf einem schmerzlichen Selbstfindungsexkurs wieder. Der Vater verliert sich im Zwiespalt und der älteste Sohn die sexuellen Orientierung gleich mit. Kind Nummer zwei ergötzt sich am Selbsthass und die dritte im Bunde, Eva, verliert sehr nebensächlich ihre Jungfräulichkeit.
Der Niederländer Michiel ten Horn hat sich mit „The Deflowering of Eva Van End“ an ein vielschichtiges Thema gewagt: Die Annahme, dass es das perfekte Familienglück gibt. Und er tut dies in ganz ähnlichen Sentenzen wie es Wes Anderson mit „Die Royal Tenenbaums“ tat: Familie, das ist kein naturgegebener Zustand. Sie misst sich am Miteinander und an der Beschränkung des Einzelnen.
Es braucht letztlich überhaupt nicht viel, um die Harmonie der van Ends ins Ungleichgewicht zu stoßen. Das Bisschen hört auf den Namen Veit, ein aus Deutschland angereister Student, der in den Niederlanden sein Englisch aufbessern möchte. Veit ist ein Schönling mit blonder Lockenpracht, zuvorkommend, interessiert und aufgeschlossen. Er vereint im Grunde all die Attribute, die die moderne Bürgerlichkeit schätzt: Jugend, Integrität, Körperbewusstsein und ein gesundes Maß an Verstand.
Demgegenüber die van Ends: Etty, die Mutter, beackert aufzehrend den Haushalt. Evert, ihr Mann, arbeitet in einer Fleischfabrik, laviert unschlüssig an den Vorbereitungen zur Silberhochzeit herum und verschenkt die Familienersparnisse aus falsch verstandenem Mitgefühl. Erwin, der älteste Spross und Mustersohn, zieht gerade mit der Freundin zusammen und sinniert über die Wandfarben für die gemeinsame Wohnung. Manuel ist der Rebell der Familie, der wie ein Getriebener alles und jedem den Mittelfinger unter die Nase reiben muss. Und dann ist da noch Eva, das dickliche Nesthäkchen, das wie ein Geist in dieser Herkömmlichkeit vegetiert. Bis nun ihr Austauschstudent Veit in diese Ordnung eindringt und mit seiner fast schon religiösen Makellosigkeit die letzte Familienbande kappt.
Diese Konstellationen sollte man vor allem als Komödie begreifen, als Drama missverstanden wäre Michiel ten Horns Debütfilm ein karger Genuss. Denn der schöne Schein, der auf der Leinwand zerschmettert wird, er funktioniert wie ein Tatbestand, der sich stetig wiederholt und regeneriert – Alltag. Lachen hält das nicht Erträgliche maßvoll. Und das Lachen über die teils grotesken Verrenkungen der Familie van End, es ist wie ein heilsamer Griff zum Spiegel – und am Ende ein Gedankensprung zu dem, was man als Zuschauer sein eigenes Leben nennt.
Martin Daßinnies