„The Hateful 8“ von Quentin Tarantino


Ungemütliche Kutschfahrt: Die Kopfgeldjäger John Ruth (Kurt Russell) und Marquis Warren (Samuel L. Jackson) in "The Hateful 8" von Tarantino. Foto: Universum

Ungemütliche Kutschfahrt: Die Kopfgeldjäger John Ruth (Kurt Russell) und Marquis Warren (Samuel L. Jackson) in „The Hateful 8“ von Tarantino. Foto: Universum

Mr. Vengeance

1994 machte Tarantino mit „Pulp Fiction“ den ‚Pulp‘ zur Popkultur und erhob die bis dahin ihr Nischendasein fristende B-Movie-Kunst in den Mainstream. 21 Jahre, acht Filme und zwei Oscars später hat sich der „Meister“ inzwischen vom nerdigen Kultregisseur nicht nur zur Ikone der Filmgeschichte verpuppt, sondern wie nebenbei auch noch zum Klempner historisch verfehlter Entscheidungen – in menschlicher wie politischer Hinsicht – gemausert. Tarantino als Rächer der Gerechten, ein post-postmoderner, apokalyptischer Robin Hood, der historische Verbrechen und ungerechte Verhältnisse im Nachgang genussvoll abstraft und kommentiert, wie zuletzt bei „Inglorious Basterds“ oder „Django Unchained„. Und nicht zuletzt hieß das Leitmotiv auch bei „Kill Bill“ oder „Death Proof“ Vergeltung und zwar so lange bis endlich wieder „Ruhe im Dschungel“ einkehren konnte, wie es Tarantino im Abspann zu „Kill Bill Vol.2″ erklärte. „The Hateful 8“ setzt diesen historisch zu denkenden Rachefeldzug fort, wenn auch dem einen oder anderen vielleicht ein bisschen zu manieriert.

Während sein siebter Film („Django Unchained„) von der Zeit vor den Sezessionskriegen und den Auseinandersetzungen um Unterdrückung und Sklaverei erzählt, spielt sein achtes Werk in der Zeit nach dem Bürgerkrieg und nimmt den noch immer starken Rassenhass und die Überlebensstrategien entlassener Soldaten und einiger Deserteure in den Fokus, die sich zu Kopfgeldjägern oder falschen Sheriffs entwickeln. Zu dieser Zeit treffen die Kopfgeldjäger John Ruth (Kurt Russel), genannt „der Henker“, und Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson) in den verschneiten Bergen Wyomings aufeinander. Der eine in einer Kutsche sitzend mit seiner noch lebenden Beute Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh), der andere mit seinen bereits erschlagenen Opfern auf eine wartend. Misstrauisch beäugen sie sich sich. Doch Warren verschafft sich Zutritt mithilfe eines Briefes, der ihn als vertrauenswürdig einstuft, denn er ist von Präsident Lincoln höchstselbst. Natürlich dauert es nicht lange und ein Vierter mit Namen Mannix (Walton Goggins) versucht sich Platz im Wagen zu verschaffen, indem er sich als neuer Sheriff Red Rocks ausgiebt, der Stadt, in der Warren und Ruth ihre Ware versilbern wollen. Als ein heftiger Schneesturm allerdings eine Weiterfahrt in die Stadt unmöglich macht, müssen die vier in Minnies Kleinwarenladen einen Zwischenstopp einlegen. Dort sitzen schon andere fest. Darunter der Ex-Konföderierten General Sandford Smithers (Bruce Stern), der Dichter Joe Gage (Michael Madsen), der Henker Oswaldo Mobray (Tim Roth) sowie ein recht schweigsamer Mexikaner (Demian Bichir). Ein Raum, eine Frau und sieben Männer – wenn man den Kutscher außer Acht lässt – die sich argwöhnisch beschnuppern, fixieren und wortreich taktieren.

Tarantino lässt es diesmal sehr viel langsamer angehen. Schon das Opening, eine von Ennio Morricone – er ließ sich nach über 25 Jahren noch einmal überreden einen Westernsoundtrack zu schreiben und verschaffte Tarantino damit seinen ersten eigenen Soundtrack – komponierte fast siebenminütige Standbild-Ouvertüre, verspricht dem Zuschauer eine andere Form von Zeitfenster und Dynamik für diesen Plot. „The Hateful 8“ ist keine schnelle Nummer. Gefordert sind Sitzfleisch und Konzentration. Jeder Ton, jede Figur, jede Einstellung, jedes Bild, jeder Satz werden ausgiebig zelebriert, denn Tarantino hat viel mitzuteilen. Mitunter glaubt man gar, der Film könnte ebenso gut als Hörfilm funktionieren, so redselig sind seine Westernhelden – entgegen sonst verbreiteter wortkarger Stereotypen. Besonders Major Marquis Warren, ein Ex-Sklave und ehemaliger Union-Soldat, hat insbesondere im Konflikt mit General Smithers jede Menge spitze Bemerkungen auf die junge amerikanische Geschichte auf den Lippen und dürstet nach Rache. Aber auch die anderen Outlaws erteilen Nachhilfestunden in Geschichte und in Sachen Rassismus. Abgesehen von ihrer politisch missionarischen Botschaft fungieren die in teilweise bis zu sechs oder sieben Minuten langen Einstellungen gedrehten Dialoge als Spannungshalter bis zum erlösenden Showdown. Bis weit über zwei Drittel des Films halten sich die testosterongeschwängerten Archetypen ablenkungsreich fast ausschließlich mit Worten in Schach und versuchen das den Raum beherrschende Misstrauen wegzumoderieren. Die einzige, die immer wieder auch physisch reichlich eingeschenkt bekommt, ist Daisy.

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