„The We and the I“ von Michel Gondry
Sportler, Zicken, Streber
Aus der Antike ist die Idee der Schule als Konnex des gemeinsamen Lehrens und Lernens überliefert. Darüber hinaus ist die Schule seit jeher mit der emphatischen Idee der Freiheit verbunden. Ihr Ziel und Mittel ist es, die Möglichkeiten des Menschen erkennbar zu machen, um derart den Menschen zu befähigen, sich selbst zu verwirklichen. Mit diesem Ort ist ein Mobil verbunden, das dieses Soziotop in eine muffige Enge überführt – der Schulbus. Der Thron des Schulbusses ist die Rückbank. Der Ort wo die Sportler über die Sanftmütigen herrschen. Ein jeder, der die falsche Einstellung, die falschen Klamotten oder die falsche Frisur sein eigen nennt, muss sich auf was gefasst machen. Michel Gondrys Polemik über den Herdentrieb mit dem etwas unglücklichen Titel „The We and the I“ möchte in einer kurvigen Fahrt durch die Bronx das Steckenbleiben in pubertärer Übersexualisierung und Peer-Group-Spießigkeit einfangen. Teresa (Teresa L. Rivera) spielt dabei die Rolle der mysteriösen Abstinenzlerin, die ihren Platz unter den Alphatieren eingebüßt hat. Nun gilt es ,diesen Platz zurück zu erobern. In der Mitte des Busses spielen sich Mikro-Dramen der Marken „Wer-hat –was-wie-über-wen-gesagt“ und „Warum-tut-er/sie-so-etwas-denn“ ab. So zum Beispiel Laidychen (Laidychen Carrasco), die Borderline-Zicke vom Dienst, die Gemeinheiten verteilt, während sie ihre Gästeliste für ihren 16. Geburtstag erstellt. Ihre beste Freundin Niomi (Meghan Niomi Murphy) sucht den amorphen Mittelweg und bemüht sich gleichzeitig, ihr ein guter Freund und sozial integriert zu sein. Dann haben wir noch den Sportlerkotzbrocken Michael (Michael Brodie), der Teresa nicht mehr leiden kann und sich auch sonst allen überlegen fühlt, weil er schneller, weiter, höher springen, laufen und werfen kann.
Adornos Beobachtung sei Dank wissen wir, dass sich sogenannte brave Schüler eher zu widerständigen Individuen entwickeln als refraktäre, die sich nach dem Abschluss mit den Lehrern am Stammtisch versammeln. Damit wären wir auch bei der Dublone der Autorität angelangt: Wer ihr nur gehorcht, liefert sich ihr aus, wer sich ihr nur verweigert, reproduziert sie in antiautoritärer Selbstbehauptung umso ohnmächtiger. Nicht mit ihr eins sein kann nur, wer sie achtet, ohne sich mit ihr abzufinden. Möchte man den Streifen in Abschnitte zerlegen, könnte man sie als die Kloppis, das Durcheinander und das (Selbst-)Portrait benennen. Durch jene Abschnitte zieht sich auch das Melodram eines homosexuellen Paares (Brandon Diaz, Luis Figuerora) – und es ist jenes Paar, welches stellvertretend für alle Anderen diese merkwürdigen Gegensätze komprimiert, die alle Pubertierenden durchlaufen: unbekümmerte Angst, lässige Grausamkeit und die kalte Zärtlichkeit einer SMS.
Flinke Übergänge strukturieren das Durcheinander und halten den Zuschauer bei der Stange. Dazu gibt es noch Musik der Achtziger-Rap-Größe Young MC. Kameramann Alex Disenhof muss so beweglich wie ein Boxer der Bantam-Gewichtsklasse sein. Bei all den flachen, aus erwachsener Sicht verzeihbaren Konflikten, könnte man beinahe vergessen, dass der Sinn der Schule darin besteht, Menschen an eine Ordnung an- und einzupassen, die sie zugleich lernen (sollen) zu affirmieren und zu reproduzieren. Trotzdem geht der Film seinen Figuren auf den Leim und ist somit sehenswerter als die glattgebügelten Teeniestreifen, die man sonst ertragen muss.
Joris J.
„The We and the I„ Regie: Michel Gondry, Drehbuch: Michel Gondry, Jeffrey Grimshaw, Paul Proch, Darsteller: Joe Mele, Meghan Murphy, Alex Barrios, Raymond Rios, Brandon Diaz, Carolina Noboa