Verlosung: BARBIE von Greta Gerwig in den Atelier Gardens

Das letzte Wochenende war von den Kinofans heiß erwartet worden. In einem bemerkenswerten Fall von counterprogramming schickte Hollywood gleich zwei Multi-Millionen-Dollar-Produktionen ins Rennen um die Gunst des Publikums und wie die ersten Zahlen belegen, hat sich das für beide Hochkaräter ausgezahlt. Während sich mit Christopher Nolan der Meister des monumentalen Action-Kinos in OPPENHEIMER gewohnt schwermütig mit der Verantwortung der Wissenschaft auseinandersetzt, hat sich Indie-Darling Greta Gerwig mit BARBIE eines Projektes gewidmet, das ihre noch junge, aber nichtsdestotrotz viel gelobte Regiekarriere entweder torpedieren oder aber auf ein ganz neues Level heben könnte. Glücklicherweise ist Letzteres der Fall.
Die seit über 60 Jahren vertriebene Plastikpuppe gilt nicht ohne Grund als eines der umstrittensten Spielzeuge. Kritiker_innen, Elternvertreter_innen, Politiker_innen und Feminist_innen warfen Barbie in der Vergangenheit immer wieder vor, ihre zumeist junge Zielgruppe mit einem ungesunden und völlig unrealistischen Körperideal zu vergiften und zudem hemmungslose Konsumsucht zu predigen (Capitalism – Yeah!). Herstellerfirma Mattel hielt dagegen, dass Barbie in ihren immer neuen, auch ethnisch diversen, Varianten (inzwischen gibt es sogar im Rollstuhl sitzende Barbies und solche mit Trisomie 21), die immer weitere Berufsfelder erschließen (Barbie als Ärztin, Polizistin, Bauarbeiterin, Astronautin oder sogar Präsidentin), den vielen jungen Mädchen (und auch Jungen), die mit ihr spielen, vor allem Eines vermittle: Wenn Barbie alles sein kann, dann könnt ihr das auch.
Letztlich stellt sich bei einem Film über Barbie, zumal mit Mattel als Co-Produzent, die Frage, was überwiegt: die berechtigte Kritik oder schnödes product placement. Und an dieser Stelle kommt Greta Gerwig ins Spiel und zu der Skepsis, die ein solches Projekt zwangsläufig begleitet und begleiten muss, gesellt sich zumindest bei mir ein gewisses Grundvertrauen.
Gerwig ist die vermutlich populärste Stimme im immer größer werdenden Chor weiblicher Regisseur_innen, obgleich sie – sieht man von ihrer Co-Regie bei NIGHTS AND WEEKENDS (2008) ab – erst zwei eigene Filme vorgelegt hat. Doch egal, ob sie sich den Problemen des Erwachsenwerdens in der modernen Welt widmet (LADY BIRD, 2017) oder die vermeintlich ausgetretensten Pfade im Genre der Literaturverfilmungen betritt (LITTLE WOMEN, 2019), Gerwigs Feminismus ist von einer Leichtigkeit geprägt, die sich aus seiner absoluten Selbstverständlichkeit ergibt. Wer die Themen, die Gerwig auch in BARBIE an- und ausspricht, nicht versteht oder gar ablehnt, kann sehr wahrscheinlich mit den Attributen männlich, weiß und (vermutlich) alt beschrieben werden. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet BARBIE das Woke-Epos unserer Zeit sein würde?
Der Plot sei hier nur kurz (und unvollständig – ich will ja nicht Spoilern) umrissen: stereotypical Barbie (weiß und blond: Margot Robbie) lebt mit ihren Freundinnen (alles Barbies) in einer aseptischen, knallbunten Plastik-Fantasyworld namens Barbieland das perfekte Leben (ein paar Kens und ein Allan sind auch noch da). Jeder Tag ist geprägt von viel Meet & Greet, Besuchen am Strand und der obligatorischen Party am Abend inkl. perfekt choreografierter Tanzeinlage. Jeder Tag in Barbies Leben ist der „beste Tag ihres Lebens.“ Jeder Tag. Immer wieder.
Eine über Nacht auftretende Missstimmung – ein flüchtiger Gedanke an die eigene Vergänglichkeit, plötzlich den Boden berührende Fersen („Plattfüße!“) und dieses gräßliche Ding an den Oberschenkeln, das sich Cellulite nennt – lässt nur einen Schluss zu: Barbie muss in die reale Welt reisen und das Mädchen finden, das mit ihr spielt, da sich deren negative Gedanken auf Barbie übertragen haben. Da Barbie das Vorbild aller emanzipierten Mädchen zu sein glaubt, ist sie überzeugt, das Problem schnell aus der Welt schaffen zu können. Ihr zur Seite gesellt sich heimlich Ken (auch sehr blond: Ryan Gosling), der wie seine Leidensgenossen in Barbieland ein Schattendasein führt und dessen Leben nur ein Ziel zu haben scheint: irgendwie das Interesse der Barbies zu wecken (was ihm nicht oft gelingt).
The Real World entpuppt sich allerdings als ein gewaltiger Schock. Barbie und Ken ziehen in ihrem bunten 90er Jahre Rollerbladeoutfit sofort die Blicke auf sich. Doch während diese für Barbie eine unangenehme Spur von Gewalt (a.k.a. sexuelle Übergriffigkeit) enthalten, sonnt sich Ken in der ungekannten Aufmerksamkeit. Als Barbie in dem Teenager Sasha ihr Mädchen findet, wird sie von der adoleszenten Dame mit den oben genannten Vorwürfen konfrontiert und als Faschistin abgekanzelt. Verzweifelt landet Barbie schließlich in der Chefetage von Mattel, wo sie auf einen ausschließlich weiß und männlich besetzten Vorstand trifft. Der Konzern möchte sie am liebsten mundtot in eine pinke Plastikbox verpacken, doch zusammen mit Sasha und deren Mutter, der eigentlichen Verursacherin von Barbies Irritationen, gelingt Barbie die Flucht in ihre Heimat. In der Zwischenzeit hat der wieder einmal auf sich allein gestellte Ken ein faszinierendes und eindrucksvolles Phänomen kennengelernt, das er unbedingt nach Barbieland bringen muss – das Patriarchat.
Die schiere Fülle an Gags, Ideen, Zitaten und Querverweisen, die Gerwig und ihr Co-Autor (und Gatte) Noah Baumbach hier zusammentragen, würden das Format dieser (ohnehin schon zu lang geratenen) Besprechung sprengen. Nur soviel: es ist ein Fest. Das Drehbuch ist dabei durchzogen von feministischen Thesen und Aussagen, ohne dabei überfrachtet, didaktisch oder mit dem erhobenen Zeigefinger daherkommend zu wirken. Die Klarstellung Barbies, dass weder sie noch Ken Genitalien besitzen, mag noch als Bonmot durchgehen.
Doch wenn sich Barbie ihres Frauseins in einer plötzlich maskulin dominierten Welt bewusst wird, ist das zunächst einmal eine Erfahrung des Schmerzes und der Ohnmacht. Immer perfekt sein zu müssen und doch nie ganz den an sie gestellten Ansprüchen genügen zu können, weil das a) nicht möglich ist und sich b) die Ansprüche z.T. auch noch diametral widersprechen – das ist eine Erfahrung, die die meisten (vermutlich alle) Frauen nachvollziehen können. Viele Männer auf ihre Weise wahrscheinlich auch, doch dazu gleich mehr.
Gerwig wäre nicht die gewitzte Regisseurin, die sie ist, wenn es den Frauen nicht gelingen würde, genau diese aberwitzigen Ansprüche der Männer gegen sich selbst zu kehren und so die Macht in Barbieland zurückzugewinnen. Dass Gerwig darüberhinaus Empathie für die ob all der Girlpower zutiefst verunsicherte Männlichkeit entwickelt, hebt den Film auf eine weitere faszinierende Ebene.
Der heimliche Star in BARBIE ist nämlich Ryan Goslings herrlich unterbelichteter Ken, der aus der realen Welt ein Männlichkeitsbild adaptiert, das sich vor allem in der Abwehr weiblicher Macht und Kraft und der hemmungslosen Überbetonung vermeintlich männlicher Werte (Pferde, Autos und die Marginalisierung der Frau) definiert (toxisch! – Ihr wisst schon). Wer hier einen Kommentar zum in den USA wütenden und immer unerbittlicher ausgetragenen Kulturkampf gegen alles woke sieht, liegt gewiss nicht falsch.
Doch geht es Barbie und ihren Mitstreiter_innen gar nicht um die Unterdrückung der Kens (des Kendoms). Gerwig stellt klar, dass Feminismus eben keine Einbahnstraße ist, sondern dass die Selbstermächtigung der Frauen letztlich auch den Männern helfen kann, sich selbst zu erkennen und ein Leben zu führen, das nicht durch auch sie belastende archaische Vorstellungen erschwert wird.
Mit BARBIE gelingt Greta Gerwig ein weiterer Triumph. Sie hat aus einer eigentlich unmögliche Idee (man muss sich nur mal mit früheren Drehbuchentwürfen für dieses seit langem geplanten Projekts beschäftigen) einen Film voller Wärme und Leichtigkeit geschaffen, der sich des feministischen Diskurses dennoch bewusst ist und aus einer eigenschaftslosen Protagonistin eine selbstbewusste Heldin macht. Der gewaltige Erfolg des Films wird Mattel gewiss helfen, noch mehr Barbies zu verkaufen. Gerwig hat aber die Gelegenheit genutzt, ihre Ideen einem viel breiteren Publikum zu unterbreiten, als sie bisher erreichen konnte. Eine Guerilla Taktik, die Schule machen sollte. Der gesamten Besetzung merkt man den Spaß an der Mitwirkung zu jedem Zeitpunkt an und Goslings grandiose Musicalnummer „I’m just Ken“ gehört neben der quietschbunten Ausstattung und den detailreichen Kostümen zu den Highlights dieses an Highlights nicht eben armen Films.
Mögliche Oscarnominierungen: Bester Film, Regie, Drehbuch, Hauptdarstellerin, Nebendarsteller, Ausstattung, Kostüme, MakeUp & Hair Styling, Schnitt und Song.
Thomas Heil
BARBIE, Regie: Greta Gerwig, Darsteller_innen: Margot Robbie, Ryan Gosling, America Ferrera, Issa Rae, Kate McKinnon, Alexandra Schipp, Simu Liu, Rhea Perlman, Kingsley Ben-Adir, Helen Mirren, Will Ferrell, Emma Mackey, Hari Nef, Michael Cera, Ariana Greenblatt u.v.m.
VERLOSUNG
Berliner Filmfestivals verlost gemeinsam mit dem Freiluftkino Insel 2×2 Gästelistenplätze zum Screening von BARBIE am Samstag, den 27. Juli, um 21.15 Uhr.
Teilnehmen kann jede*r BFF-Lesende, der*die bis Donnerstag, den 25. Juli, um 23:59 Uhr eine Email an folgende Adresse schickt: marie[at]berliner-filmfestivals.de – am besten unter Angabe des bisherigen Greta-Gerwig-Lieblingsfilmes
… und mit dem Betreff BARBIE
Die Gewinner*innen werden am Freitagvormittag kontaktiert.