„Was bleibt“ von Birthe Templin und Gesa Knolle


Mutiges Gedenken

Als Dietlinde im Eingang der Gedenkstätte Ravensbrück anfängt zu sprechen, versagt ihr die Stimme. Wie ein kleines Kind bittet die Frau unter Tränen darum, das Haus ihrer Mutter  besichtigen zu dürfen. Dietlinde ist die Tochter einer KZ-Aufseherin, die in Ravensbrück gelebt und im Auftrag der Nazis gemordet hat. Die Österreicherin erfährt erst spät, wer ihre Mutter wirklich war und ringt seit dem mit ihrem Schicksal. Sie und ihre Tochter Eva bilden die eine Hälfte des außergewöhnlichen Dokumentarfilms „Was bleibt“ der beiden Regisseurinnen Birthe Templin und Gesa Knolle. Der Film – mit dem Produktionsjahr 2008 lange vor Hans-Christian Schmids gleichnamigen Spielfilm abgedreht – sucht gleichzeitig auch Erna de Vries auf, eine Frau, die als Jüdin im KZ Ravensbrück gefangen war, sowie deren Tochter Ruth und die Enkeltochter Rebecca. Lernt man auf Seiten der jüdischen Familie einen lebensbejahenden, reflektierten Umgang mit der schwer in Worte zu fassenden Vergangenheit kennen, ist das Leben von Dietlinde durch Depresssionen und quälenden Fragen zersetzt.

Während ihre Tochter Eva lieber in Verdrängung und Allgemeinplätze flüchtet, sucht sie die Orte der grausamen Mittäterschaft ihrer Mutter auf und versucht zu verstehen. Die schmerzhafte Auseinandersetzung mit den Taten ihrer Mutter und die vielen unbeantworteten Fragen, die sie in Bezug auf den Holocaust und ihre Verstrickung mit diesem Thema aufwirft, geben dem bekannten Thema einen neuen Fokus. Dabei kommt auch die Seite der Opfer immer wieder zu Wort. Es entsteht ein geschickt montierter Dialog  – ohne dass sich die beiden Parteien jemals treffen müssten. Die Montage dieses ungewöhnlichen Täter-Opfer-Porträts ist einmalig – und sorgte bei Erscheinen für einiges Aufhebens: Darf man die Erinnerungen eines Holocaust-Opfers zwischen die Aussagen einer Nazi-Tochter schneiden? Man darf, entschieden Birthe Templin und Gesa Knolle, und der Erfolg des Films gab ihnen Recht: Heute läuft der einstündige Dokumentarfilm weltweit in wichtigen Holocaust-Gedenkstätten wie Yad Vashem oder Washington. Die Bundeszentrale für politische Bildung präsentiert „Was bleibt“ auf Konferenzen und auch im Schulunterricht ist die Dokumentation Beispiel für einen neuen Umgang mit Holocaust-Gedenken und Täterforschung.

Cosima Grohmann

Im Gedenken an die Reichsprogromnacht vom 9. November 1938 wird der Film am 9. November um 19.30 Uhr noch einmal im Regenbogenkino aufgeführt. Anschließend stellen sich die beiden Regisseurinnen für Fragen und Diskussion bereit. „Was bleibt“ läuft bis zum 12. November täglich Regenbogenkino: www.regenbogenkino.de