„Werden Sie Deutscher“ von Britt Beyer
Ohne Fleiß kein Preis, du beleidigte Leberwurst
„Wann ist jemand integriert?“ – diese Fragen müssen Kenji, Insaf, Niara und ihre Kollegen beantworten. Mit kleinen Klebepunkten sollen die Teilnehmer des Integrationskurses zu erkennen geben, wie sie zu bestimmten Aussagen über Integration denken. „Eine Person ist integriert, wenn sie genauso denkt und lebt wie die Mehrheit der Deutschen“ steht da zum Beispiel an der Tafel. Oder „…wenn sie mehr Kontakt zu Deutschen hat als zu ihren Landsleuten“ und „…wenn sie sich in Deutschland gut fühlt“. Ja, nein, oder vielleicht doch ja? Die Kursteilnehmer sind sich keineswegs einig. Und auch der Zuschauer mit deutschem Pass beginnt sich zu fragen: Was bedeutet eigentlich Integration?
Regisseurin Britt Beyer hat zehn Monate lang Integrationskurse an einer Berliner Volkshochschule mit einem kleinen Kamerateam begleitet, im Unterricht, bei Behördengängen und zu Hause. Ganz nah ist sie dabei herangekommen an die Teilnehmer, die aus ganz unterschiedlichen Gründen die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten möchten. Weltenbummler Jorge aus Argentinien ist der Liebe wegen vor Kurzem nach Berlin gekommen und möchte nun hier eine kleine Bar eröffnen. Die Palästinenserin Insaf ist schon seit über 20 Jahren in Deutschland, hat ihre Kinder hier groß gezogen und doch nie die Sprache gelernt, weil sie immer mit der drohenden Abschiebung gerechnet hat. Shipon aus Bangladesch ist in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland gekommen, hat sich hier verliebt und geheiratet. Er leidet unter den ständigen Kontrollen von der Ausländerbehörde, die dem Paar eine Schein-Ehe unterstellen.
Neben dem Erlernen der deutschen Sprache sind auch die Vermittlung von Kultur und Lebensart der Deutschen Teil des Integrationskurses. Dazu gehören Rollenspiele, Ausflüge zum Reichstag und viel munteres Brainstorming zu der Frage: „Was ist eigentlich typisch deutsch?“ Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und regelkonformes Verhalten – „man muss unbedingt seinen Fahrschein abstempeln“ – sind die Begriffe, die die Kursteilnehmer am stärksten mit den Menschen in Deutschland verbinden. Und einen seltsamen Humor, den man „akzeptieren“ muss, wie Jorge es formuliert. Auf die Rückfrage, wie denn der deutsche Humor zu beschreiben sei, geraten alle mächtig ins Grübeln. Wenn Deutschlehrer Klemens Schütz seinen Schülern später dann typisch deutsche Redewendungen beibringt, mag man sich über das vermeintliche Klischee der Humorlosigkeit allerdings kaum wundern. Wer „Ohne Fleiß kein Preis“ und „beleidigte Leberwurst“ als der Inbegriff deutscher Lebensweisheit vermittelt, braucht sich über Vorurteile nicht beschweren. Die Dokumentation zeigt den hilflos skurrilen Prozess der „Kulturvermittlung“, jedoch ohne sich dabei über die vermittelnden Lehrer lustig zu machen. Denn Marita Kaminski und Klemens Schütz, deren Kurse der VHS Berlin-Wedding Beyer begleitet, sind offen, bemüht und ehrlich interessiert an ihren Schülern und versuchen diese so gut es eben geht auf die abschließende Prüfung vorzubereiten, die den ersehnten deutschen Pass verspricht.
Mit „Werden Sie Deutscher“ ist Britt Beyer eine beeindruckende Dokumentation gelungen über den Weg, den jeder Ausländer gehen muss, der legal in Deutschland leben möchte. Ein überaus interessanter und notwendiger Einblick in den Prozess der Vermittlung deutscher Kultur. „Werden Sie Deutscher“ wirft die Frage auf, ob Integration in staatlich verordneten Kursen erlernt und in einer Abschlussprüfung abgerufen werden kann. Ein Gedankenanstoß, der bei achtung berlin mit dem „new berlin film award“ für die beste Dokumentation ausgezeichnet wurde.
Verena Manhart
„Werden Sie Deutscher„ Regie: Britt Beyer, Kamera: Marcus Lenz, Kinostart 25. April 2013