WINTERSCHLAF („KIŞ UYKUSU“) von Nuri Bilge Ceylan



Ceylan ist ein fantastischer Erzähler, der die Psychologie in diesem spannungsgeladenen Universum wohl dosiert und in Etappen freilegt und den Zuschauer so satte drei Stunden und fünfzehn Minuten Spielzeit nicht mehr vom Haken lässt. WINTERSCHLAF ist keine Geschichte im klassischen Sinn mit klarem Plot, der auf eine Klimax zusteuert. Im Gegenteil, der Film beschreibt meisterhaft psychologische Momentaufnahmen alltäglicher Auseinandersetzungen zwischen Mann und Frau, Machthaber und Bittsteller, Ego und den Anderen. Schritt für Schritt zieht Regisseur Bilge Ceylan den Zuschauer tiefer und tiefer in die menschlichen Dramen dieser archaisch ländlichen Einöde, begleitet dabei vom Andantino der Schubertschen Klaviersonata D 959.

Die ganze Inszenierung, mit ihren großformatigen und atemberaubenden Landschaftsaufnahmen sowie den herausragenden Dialogen, die fein beobachtet und auf den Punkt präzise die widersprüchliche menschliche Natur und die Undurchdringlichkeit humaner Beziehungen beschreibt, rufen Erinnerungen an von Triers DOGVILLE bis Bergmans SZENEN EINER EHE wach. Symbolhafte Kritik an bestehenden politischen Machtverhältnissen finden Suchende nicht nur im latenten Größenwahn des Protagonisten oder zitierten Ohrfeigen. Im Kern aber bleibt der Film eine intelligente Gesellschaftsstudie, die die Psychologie ihrer Teilhaber auslotet. Zurecht gewann Nuri Bilge Ceylans WINTERSCHLAF in diesem Jahr die Goldene Palme und das in dem Jahr, in dem das türkische Kino seinen 100. Geburtstag feiert.

SuT

WINTERSCHLAF („KIŞ UYKUSU“), Regie: Nuri Bilge Ceylan, DarstellerInnen: Haluk Bilginer, Melisa Sözen, Demet Akbağ, Ayberk Pekcan, Serhat Mustafa Kılıç, Nejat Isler, Tamer Levent

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