WIR BEIDE (OT: DEUX) von Filippo Meneghetti


Still aus WIR BEIDE © Weltkino Filmverleih

Still aus WIR BEIDE © Weltkino Filmverleih

Eine geheime Insel aus zwei Apartments

„Wenn du mit mir kommst, wirst du mit mir auf einer fantastischen Insel leben“ (orig. „Se verrai, tu vivrai con me, in un’isola fantastica“) – der 1960er Jahre Song von Betty Curtis (ital. Version von „I will follow him“) verleiht dem ersten Teil von WIR BEIDE immer wieder eine beschwingte, träumerische aber auch sehnsüchtige Stimmung. Mado (Martine Chevallier) und Nina (Barbara Sukowa), beide in ihren Siebzigern, leben Tür an Tür, ihre Beziehung halten sie seit langem geheim. Gemeinsam planen sie weg aus Frankreich und nach Rom zu ziehen, um dort neu anzufangen. Mados Coming-Out vor ihren Kindern steht aber noch bevor. Als sie diesen jedoch einmal mehr nicht von ihrer lesbischen Beziehung erzählt, beginnen sich die Ereignisse kurzerhand zu überschlagen.

Der erste Teil von WIR BEIDE folgt erzählerisch primär Mado, die Kamera ist oft ganz nah an ihr dran – so nah, dass die Umgebung verschwimmt, unklar und auch unwichtig wird. Der Fokus liegt in diesen Momenten auf Mados Innenleben und nicht auf den Dingen, die um sie herum passieren. Hier schafft Regisseur Filippo Meneghetti auch wirkungsvolle Verbindungen mit dem Ton: Zum Beispiel als während eines Close-Ups auf Mado zugleich ein tosendes Geräusch zu hören ist, das in dem Moment ihren gebeutelten Gefühlszustand untermalt. Erst als die Einstellung langsam weiter wird, wird auch das Geräusch eindeutig als das Blasen eines Föhns und der Ort, an dem sie sich befindet, identifizierbar.

Kompositionen wie diese sind bezeichnend für die feine Bildästhetik und -dramaturgie des Films. Mit den Aufnahmen von Aurélien Marra (Kamera) erzählt Meneghetti (mit Drehbuch Co-Autorin Malysone Bovorasmy) die Geschichte eines älteren Liebespaars auf wunderbar feinfühlige Art: nah an den Charakteren und trotzdem nicht aufdringlich. Zudem schafft er es, auch Spannung aufzubauen, narrativ und visuell: Ein ebenso wiederkehrendes Stilmittel sind Einstellungen, die für längere Zeit auf eine Person oder einen Gegenstand fixiert sind, während aus dem Off Gespräche ins Bild dringen. Einerseits sehen wir die sprechenden Personen lange nicht, andererseits erwarten wir, dass in dem lange gezeigten Bildausschnitt mehr als das bereits Gezeigte passieren wird.

Kurz nach dem wieder verabsäumten Coming-Out unterliegt Mado einem Schlaganfall. Von da an teilen wir Ninas Erzählperspektive. Mado kann nicht mehr sprechen, was in ihr vorgeht, können ihre Mitmenschen nur durch ihre minimalen Bewegungen und Blicke erahnen. Nachhause kehrt sie in Begleitung einer Pflegerin zurück. Ninas Blick aus dem Schlüsselloch von gegenüber fällt nun auf eine stets geschlossene Tür. Zuvor war der Flur bloß wie ein Teil einer einzigen großen gemeinsamen Wohnung gewesen. Nina versucht als helfende Nachbarin, wiederholt in Mados Nähe zu gelangen und dabei ihre Sehnsucht nach Außen hin zu verbergen. Als deren Tochter (Léa Drucker) erahnt, dass die beiden mehr als platonische Nachbarinnen sind, ist zu erahnen, wie ihre Reaktion darauf ausfällt.

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