„Yalda“ von Massoud Bakhshi


Eine Fernsehshow soll über Leben und Tod entscheiden. Little Dream Pictures ©Julian Atanassov jba production

Eine Fernsehshow als Richterin

Sichtlich nervös betritt die junge Maryam (Sadaf Asgari) mit ihrer Mutter (Fereshte Sadre Orafaee) ein Teheraner Fernsehstudio. Ihr starkes Lampenfieber hat einen Grund, denn ihr Leben hängt an diesem Abend davon ab, ob ihr eine andere Person verzeiht. Die Live-Sendung „Freude der Vergebung“ ermöglicht es Teilnehmer:innen, über die aufgrund eines Mordes nach islamischem Recht die Todesstrafe verhängt wurde, die Familie des Opfers um Vergebung zu bitten. Verzeiht diese und verzichtet somit auf die ihr zustehende Vergeltung, ermöglicht sie das Überleben der angeklagten Person.

Der iranische Regisseur und Drehbuchautor Massoud Bakhshi („A Respektable Family“) inszeniert in einer knappen Einheit von Zeit und Ort – nicht zuletzt dieser Rahmen trägt zu erhöhter Spannung bei – eine Geschichte, deren Basis eine tatsächlich existierende iranische Fernsehshow und kein dystopischer Roman bildet. „Yalda“ wechselt zwischen inszenierten Fernsehshowaufnahmen und den Ereignissen hinter der Kamera kurz vor, während und nach dieser fiktiven Sendung. Das künstliche Licht im abgedunkelten Gebäudekomplex, das vor allem in Rot- und Blautönen schimmert, verleiht dem Ambiente mit den üppigen Studiomöbeln und der floralen Deko einen irdischen Kitsch, der Maryams abgründige Lage beinahe zynisch kontrastiert.

Die Protagonistin tritt Mona (Behnaz Jafari), der einzigen Tochter ihres Ehemannes Nasser gegenüber, den sie – durch einen Unfall – getötet haben soll. Mit dem 40 Jahre älteren Mann war sie eine Ehe auf Zeit eingegangen und von diesem mit einem Sohn schwanger geworden – was gegen die Bedingungen dieser Art von Engagement verstößt. Mona beschuldigt Maryam der Vorsätzlichkeit des Mordes, da sie so durch den gemeinsame Sohn zum Erbe Nassers gelangt wäre – als Witwe steht ihr dieses nämlich nicht zu. Hier waltet das islamische Patriarchat. Die Beziehung der beiden sozial unterschiedlich gestellten Familien ist so verstrickt, dass sie Potenzial hätte, viele Dramen trivialer Reality-Shows zu überspitzen.

Das Verhältnis der beiden Frauen untereinander ist deutlich von den Bedingungen der männlichen Unterdrückungsgesellschaft bestimmt – für die aus bescheidenen Verhältnissen stammende Maryam erst recht. Monas kühle Bestimmtheit lässt bis zum Ende nicht erahnen, ob sie vergeben wird. Die Tatsache, dass im Jahr 2019 im Iran tatsächlich 80% der Hinrichtungen Qisas (Toderurteil durch Vergeltung) waren, spricht für sich. Genau so perplex lassen einen die Momente des Films zurück, in denen das millionenfache Fernsehpublikum per SMS über die Schuldigkeit der jungen Frau abstimmen soll. Auch das keine Fiktion.

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