„Yalda“ von Massoud Bakhshi
Bakhshi, der zuvor vor allem als Dokumentarfilmregisseur tätig war, schafft auch hier einen Film, der sich auf reale Verhältnisse beruft. Vorbild für den Film war die iranische Talkshow „Mah-e Asal“, die von 2007 bis 2018 in Kooperation mit dem Justizsystem ausgestrahlt wurde. Für seinen Spielfilm „Yalda“ gab es im Iran aber keine Möglichkeit zur Finanzierung, weshalb von europäischen Firmen produziert wurde.
Die Prämisse der Sendung zeigt die überbordende Absurdität des Medieneinflusses auf das Leben einzelner Menschen. Dass die erfolgreiche Inszenierung einer Show für ein Schicksal relevanter werden kann als die Klärung von Tatsachen, zeugt von gesellschaftlicher Tragik. Ebenso tragisch ist es, dass Maryam als Frau von jeder Chance auf Gerechtigkeit durch die Justiz nur träumen kann.
„Yalda“ ist so fein gestrickt, dass beim Zusehen auch reichlich Emotionen hochkommen können. Wesentlichen Anteil daran haben nicht zuletzt die beiden Hauptdarstellerinnen. Gegen den wiederholten Wirbel der Gefühle von Maryam überzeugt Behnaz Jafari mit kühler Strenge. Durch nahe Aufnahmen erleben wir besonders gut die nervöse Maryam mit, sehen aber auch wie die Sendungsverantwortlichen zunehmend die Rolle von Mediator:innen zwischen den Teilnehmenden der Show einnehmen müssen. In manchen Momenten werden Dialogteile akustisch kaum verständlich, weshalb Mimik und Gestik der Schauspieler:innen umso mehr zur Geltung kommen und so auf emotionaler Ebene mehr erzählen als gesprochene Worte es tun könnten.
Konstant gelassen bleibt einzig ein älterer Mann, der immer wieder Tabletts mit Süßigkeiten und Getränken durchs Studio trägt. Er macht eines der Details der Inszenierung aus, die bei genauerer Betrachtung eine mehrdimensionale Herangehensweise des Regisseurs offenbart. Diese sorgt auch dafür, dass die anderen Charaktere vielgestaltig und geheimnisvoll gestrickt sind.
In „Yalda“ – der Name bezeichnet die längste Nacht des Jahres, ein großes persisches Fest – geht es nicht darum, wer Recht oder Unrecht hat, sondern wie über das Schicksal von Menschen verhandelt wird: Durch ein Zusammenspiel aus islamischen Gesetzen, Publikums-SMS-Votings, den Entscheidungen der Sendungsverantwortlichen – das letzte Wort trägt natürlich auch ein Mann, selbst wenn das Studio reichlich von Kolleginnen besetzt ist – finanziellen Abhängigkeiten und Individuen, deren Handeln den Strukturen eines Patriarchats in seiner Extremform unterliegt.
Der Film lässt mich als mitteleuropäische Zuschauerin mit reichlich Gedankenstoff zurück und jeglicher Versuch die darin dargestellten gesellschaftlichen Verhältnisse mit einem tieferen, kritischen Blick vor einem real-politischen Hintergrund zu betrachten, mag von vornherein anmaßend sein. Deutlich aussprechen kann ich aber eine Empfehlung, sich das eindrucksvolle Kammerspiel Massoud Bakhshis anzusehen und sich selbst von der Geschichte überzeugen zu lassen.
Bianca Jasmina Rauch
„Yalda“, Regie: Massoud Bakhshi, Darsteller: Sadaf Asgari, Fereshteh Sadr Orafee, Behnaz Jafari, Arman Darvish, Forough Ghajabagli, Fereshteh Hosseini, Barak Karimi, Kinostart: 27. August 2020