Achtung Berlin 2011: Auf halber Strecke


Filmszene: "Papa Gold"

Filmszene: "Papa Gold"

Ist ein Glas bei einer Füllmenge von fünfzig Prozent halbvoll oder halbleer? Die Sichtweise macht den Unterschied. Aus psychologischer Perspektive könnte man auch sagen, hinter halbleer verbirgt sich eine pessimistische Grundhaltung des Betrachters. Als halbvoll dagegen betrachtet der Optimist sein Glas. Im Fall von achtung berlin lohnt sich die letztere Perspektive, denn der diesjährige Jahrgang mit seinen knapp 80 Spiel- und Dokumentarfilmen ist ein starker, wie die Filme der Brüder Laas („Frontalwatte„, „Papa Gold„) und Richard Wilhelmers („Adams Ende„) oder Ivette Löckers „Nachtschichten“ zeigen. Es ist aber auch ein streitbarer: Christian Stahls Neukölln-Doku „Gangsterläufer“ über einen Schläger palästinensischer Abstammung ist überzeugend in seiner  Betrachtung des Straftäters, gleichwohl leichtfertig in der Form, wie sich der Dokumentarfilmer zunehmend selbst mit ins Zentrum der Betrachtung schiebt.

Regisseur Jonas Grosch hatte am Mittwoch mit „Die letzte Lüge“ das Festival eröffnet. Seine mit Musical-Elementen versehene Komödie erzählt mit teils derbem Humor und reichlich deutschem Ska (v.a. von The Busters) eine ziemlich vertrackte Beziehungsgeschichte um die Protagonisten Lucy (Katharina Wackernagel) und Ole (Leander Lichti). Das Paar leistet sich – ohne das Wissen des jeweils anderen – langjährige Affären, die das gar nicht so traute Glück der beiden ausgerechnet an deren romantischem Oster-Wochenende auf eine harte Probe stellen. Dank einer sehr gelungenen musikalischen Untermalung des Films und vielen guten visuellen Ideen recht kurzweilig – auch für Zuschauer, die sich von Musicals sonst eher abschrecken lassen.

Frontalwatte“ (Jakob Lass) ist mehr Improvisations-, denn Spielfilm – und darin sehr gut! Seine Protagonisten irrlichtern durch dieses oftmals so merkwürdige Berlin. So entwickelt Franz diebische Freude daran, sich Luxus-Lofts zeigen zu lassen, um dort so lange den Sonnenuntergang zu genießen, bis ihn der genervte Yuppiemakler rauswirft. Ein kurzer, klug bebilderter Trip durch ein aufregendes Berlin, der unheimlich großes Talent bei allen Beteiligten offenbart.

Filmszene: "Long Weekend XTC"

Filmszene: "Long Weekend XTC"

Die diesjährige Retrospektive „Musik – Stadt – Berlin“ widmet sich der Hauptstadt von einer Seite, die seit mindestens dreißig Jahren zum Elementarsten ihres Kulturbetriebes zählt: Musik. Sie ist der Puls dieser Stadt. Man möge die etwas pathetische Formulierung nachsehen, aber was die beiden Kuratoren Christine Kisorsky und Florian Wachinger an Arbeiten in diesem Jahr zusammengetragen haben, ist einmalig in seiner Form. Es sind Blicke auf eine Musikkultur, die sich über Jahrzehnte hinweg auf beiden Seiten der Mauern sehr unterschiedlich entwickelt hat und letztlich, nach dem Mauerfall, in einer Klangwelt aufging. Techno.

Long Weekend XTC„, „Sonntags in Berlin“ und „Feiern“ sind drei sehr unterschiedliche Arbeiten, doch eint sie eine Frage: Stirbt die Techno-Stadt Berlin oder lebt sie weiter? Die Kinder der Technoszene sind nicht nur groß, sondern auch verdammt alt geworden. Viele vegetieren von einer Party zur nächsten im schnöden Alltag, trauern den Sternstunden der Berliner Clubszene nach, die zur Prägung einer Jugendkultur – Techno – beitrugen und sind in den 90ern hängen geblieben. Andere tun so, als wären sie jetzt reifer und clubben als Freizeitbeschäftigung, Hobby, Ausgleich oder ritualisieren den Feiertag. Einige wenige Techno-Kids geben sich auch sehr erwachsen und für sie ist Feiern eine spirituelle Erfahrung, oder dient schlicht kommerziellen Zwecken. Dennoch drei wunderbar aufschlussreiche Filme, die punktuell als lehrreiche Repräsentanten der Berliner Clubkultur gelten können und die deren Entwicklung von den Anfängen bis zur Gegenwart spiegelt.

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